Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 6/2011
Kasuistik
Ein 53-jähriger Patient stellte sich im Jahre 2005 wegen beginnender Erektionsproblematik bei seinem Urologen vor. Die klinische Untersuchung sowie die Laborwerte von Urin und Prostataexprimat ergaben keine auffälligen Befunde. Weitere diagnostische Maßnahmen zur Klärung einer möglichen erektilen Dysfunktion wie Medikamentenanamnese, Erhebung eines Gefäßstatus durch Dopplersonografie sowie Hormonbestimmungen sind nicht dokumentiert. Noch während dieser Erstkonsultation erfolgte wegen der postulierten erektilen Dysfunktion eine Schwellkörperinjektion unter Gabe von einem Milliliter des Spasmolytikums Paveron N. Es sollte getestet werden, ob und inwieweit noch eine Erektionsfähigkeit bestand. Danach verließ der Patient die Praxis mit dem Hinweis des Arztes, sich nachmittags zu melden, wenn die Erektion abgeklungen sei. Über das Verhalten bei möglichen Komplikationen wurde er nicht informiert.
Es kam zu einer deutlich prolongierten und schmerzhaften Erektion im Sinne eines Priapismus. Doch war der behandelnde Urologe über anderthalb Tage für seinen Patienten nicht erreichbar, so dass der nächste Arzt-Patienten-Kontakt erst 40 Stunden nach der Injektion erfolgte.
Jetzt versuchte der Urologe an zwei aufeinanderfolgenden Tagen vergeblich, durch Punktion der Schwellkörper die Stauung zu entlasten. Eine simultane medikamentöse Behandlung mit einem Antidot wurde nicht vorgenommen. Letztlich musste vier Tage nach der Injektion der Patient zur weiteren Behandlung stationär aufgenommen werden. In der Klinik konnte dann der Priapismus zum Abklingen gebracht werden, allerdings mit dem Ergebnis kompletter erektiler Dysfunktion auf dem Boden einer Thrombosierung der Schwellkörper, was die Versorgung mit einer hydraulischen Schwellkörperprothese zur Folge hatte.
Der Patient erhob gegenüber dem behandelnden Urologen den Vorwurf einer fehlerhaften Behandlung seiner Erektionsstörung. Als die Komplikation eintrat, wäre er nicht erreichbar gewesen.
Gutachten
Der von der Schlichtungsstelle beauftragte urologische Gutachter hat folgende Kernaussagen getroffen:
- Unter der Prämisse einer erektilen Dysfunktion wären die diagnostischen Maßnahmen vor einer Injektionstherapie unzureichend gewesen. Es hätten nach ausführlicher Krankheits- und Medikamentenanamnese neben der klinischen Untersuchung eine erweiterte Labordiagnostik, besonders mit Bezug auf Stoffwechsel- und Hormonstörungen veranlasst sowie eine entzündliche Komponente ausgeschlossen werden müssen. Auch wäre eine Gefäßdiagnostik mittels Sonografie angezeigt gewesen.
- Die Schwellkörperinjektionstherapie sei fehlerhaft durchgeführt worden. Das applizierte Medikament Paveron N entsprach im Jahre 2005 nicht mehr geltendem medizinischen Standard. Es sei durch erhebliche Nebenwirkungen und die Gefahr eines Priapismus belastet. Zum Zeitpunkt der Behandlung hätten modernere Präparate mit einem wesentlich geringeren Nebenwirkungsprofil zur Verfügung gestanden.
- Im Besonderen sei die Behandlung nach Auftreten des Priapismus zu beanstanden. Nachdem bereits durch die mangelnde Information des Patienten über das Verhalten in einer derartigen Notfallsituation und die Abwesenheit des Arztes wertvolle Zeit verstrichen war, hätte die sofortige stationäre Einweisung erfolgen müssen. Statt dessen seien über zwei Tage ineffektive Punktionsversuche ohne medikamentöse Begleitmaßnahmen zur Entlastung der Schwellkörper erfolgt. Dem behandelnden Urologen hätte bewusst sein müssen, dass mit jeder Stunde Zeitverlust die Gefahr eines irreversiblen Schadens zunehme. Letztlich sei es durch die fehlerbedingte Verzögerung adäquater Maßnahmen zum kompletten Funktionsverlust gekommen, der die Versorgung mit einer hydraulischen Schwellkörperprothese erforderlich gemacht habe.
Entscheidung der Schlichtungsstelle
Die Schlichtungsstelle schloss sich den gutachterlichen Erwägungen an. Als fehlerbedingte Gesundheitsbeeinträchtigungen waren zu qualifizieren:
- vier Tage heftige Schmerzen durch den Priapismus
- komplette erektile Dysfunktion mit Erektionsverlust infolge Hämostase und Thrombosierung der Schwellkörper
- Versorgung mit einer hydraulischen Schwellkörperprothese
Schadenersatzansprüche wurden als begründet angesehen und eine außergerichtliche Regulierung empfohlen.