Severe local Anaphylaxis after Wasp Sting versus Cold Injuries due to Local Cryotherapy<
Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 01/2009
Kasuistik
Eine 53-jährige Frau erlitt während einer Grillparty einen Wespenstich im Bereich der rechten Wade. Unmittelbar nach dem Ereignis kam es zu Benommenheit, Blutdruckabfall und Tachykardie im Sinne eines anaphylaktischen Schocks mit Sofortreaktion.
Die Aufnahme in der Notfallambulanz eines großen städtischen Krankenhauses erfolgte etwa 45 Minuten später. Neben der Lokalreaktion mit Rötung und Schwellung fanden sich ein erniedrigter Blutdruck von 70 mm/Hg systolisch (diastolisch nicht messbar) sowie eine Tachykardie um 110 pro Minute.
Korrekterweise wurde unverzüglich intravenös Flüssigkeit substituiert. Zusätzlich wurden intravenös ein Antihistaminikum (Fenistil®) und ein so genannter H2-Rezeptorblocker (Ranitidin®) gegeben. Wegen der lokalen Reaktion erfolgte im Bereich der Einstichstelle eine Kryotherapie mit Kühlakkus.
Am nächsten Morgen wachte die Patientin mit starken Schmerzen im Bereich der rechten Wade auf. Im Verlaufe des Tages entwickelte sich eine handtellergroße Blase. Der untersuchende Arzt und die zuständige Krankenschwester vermuteten eine „Frostbeule“ nach eventuell unsachgemäßer Kühlung. Der hinzugezogene Oberarzt ging von einer extremen lokalen Histaminfreisetzung bei anaphylaktischer Reaktion aus.
Am nächsten Tag (Tag zwei nach Wespenstich) wurde die Blase chirurgisch eröffnet und die Patientin am gleichen Tag in ambulante Weiterbehandlung entlassen. Diese Behandlung erfolgte überwiegend dermatologisch und wurde fotografisch dokumentiert. Die lokale Läsion zeigte sich noch zehn Tage nach dem Wespenstich beziehungsweise neun Tage nach der eingeleiteten Therapie in einer ausgeprägten Blasenbildung. Weitere sieben Tage später hatte sich in diesem Bereich eine tiefe Hautnekrose entwickelt, deren Ausheilung sich über mehrere Wochen erstreckte. Noch vier Monate später fand sich eine ausgedehnte Narbenbildung mit geringer Schorfbildung und hyperpigmentiertem Randsaum.
Die Antragstellerin wirft den behandelnden Krankenhausärzten die unsachgemäße Kälteanwendung vor. Unter Schmerzen sei es zum Gewebszerfall und schließlich zu tiefer Narbenbildung gekommen.
Eine Stellungnahme der in Anspruch genommenen Klinik lag nicht vor.
Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter geht davon aus, dass die Initialbehandlung des anaphylaktischen Schocks fachlich nicht zu beanstanden wäre. Auch die Behandlung mit Kühlakkus sei im Prinzip nicht zu monieren. Bei Kühlakkus handele es sich um Plastikbehälter, die bei etwa minus 17° Celsius tiefgefrorenes Wasser enthalten. Ein ungeschützter direkter Kontakt mit der Haut könne lokale Erfrierungen dritten bis vierten Grades zur Folge haben. Bei vorgeschädigter Hautbarriere, wie sie in diesem Fall infolge der toxischen Wespengiftschädigung anzunehmen sei, könne es um so leichter zu ernsthaften Schädigungen der Haut, des Unterhautfettgewebes sowie auch der Muskulatur kommen. Mit hinreichender Wahrscheinlichkeit handele es sich bei der Patientin um eine lokale Erfrierung dritten Grades im Sinne einer Dermatitis congelationis gangraenosa. In diesem Fall könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Patientin die Falschanwendung der Kühlakkus selber hätte erkennen und beseitigen lassen können, da sie infolge des anaphylaktischen Schocks und auch der medikamenteneigenen Nebenwirkungen in ihrer Urteilsfähigkeit stark eingeschränkt gewesen sei.
Der Gutachter geht von einem vermeidbaren Behandlungsfehler bei der Anwendung von Kühlakkus aus. Bei richtigem Handeln wäre die massive lokale Nekrose im Bereich der rechten Wade nicht aufgetreten.
Als Schädigungsfolgen wertet der Gutachter die deutlich verlängerte Behandlungsdauer, die ausgeprägte Narbenbildung sowie eine nachvollziehbare Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens mit Schmerzsymptomatik über Wochen bis Monate.
Der leitende Oberarzt der Klinik hat zum Gutachten Stellung genommen. Die Kryotherapie würde in seiner Klinik routinemäßig mit einem medizinischen Kältegelbeutel, geschützt durch eine Schlauchbinde, durchgeführt. Lokale Erfrierungen wären in seiner Einrichtung nie bekannt geworden. Deshalb gehe er davon aus, dass die Hautschädigung auf einer Histaminfreisetzung beruhe und wahrscheinlich durch IgE-Antikörper vermittelt sei. Darunter würde es auch zu einem lokalen Ödem bis hin zur Blasenbildung kommen. Ein lokaler Erfrierungsprozess könne diesem Ablauf ähneln.
Die Schlichtungsstelle folgte im wesentlichen den Aussagen des Gutachters. Das zeitliche Auftreten der Blasenbildung etwa 24 Stunden nach Insektenstich spricht nicht für eine unmittelbar toxische oder allergische Insektengiftwirkung. Der Zusammenhang mit der Anwendung von Kälteakkus erscheint eindeutig, wobei es nicht erheblich sei, ob der Kälteakku völlig oder durch eine dünne Schlauchbinde geschützt für einen Zeitraum von 24 Stunden auf die Haut aufgebracht wurde.
Das Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (Diagnose und Therapie der Bienen- und Wespengiftallergie – Allergo J. 2000, 9, 458-474) führt aus, dass örtliche, durch toxische Wirkung des Gifts ausgelöste Reaktionen sich als umschriebene, meist schmerzhafte Schwellung und Rötung an der Stichstelle zeigen. Gesteigerte örtliche Reaktionen, die länger als 24 Stunden anhalten, seien danach vermutlich durch allergische Mechanismen, aber nicht unmittelbar IgE-vermittelt. Eine Reaktion, die erst nach 24 Stunden in diesem Ausmaß auftritt, ist somit gänzlich unwahrscheinlich. Prinzipiell ist die Anwendung von Kälte (kühlende feuchte Umschläge oder Kältepacks) zulässig, wenn dafür Sorge getragen wird, dass die Kälteeinwirkung nicht zu extrem ist.
Anaphylaktische Reaktionen mit Spätschäden im Sinne einer Nekrose von Haut- und Unterhautfettgewebe sind extrem selten. In konkreten Fall ist von einer fehlerhaften Anwendung von Kühlakkus auszugehen, wobei eine Rolle gespielt haben könnte, dass die Patientin wegen des anaphylaktischen Schocks mit Bewusstseinseintrübung aber auch wegen der stark sedierenden Medikation das Kältetrauma nicht rechtzeitig bemerkt hat. Dieser Situation hätte allerdings ärztlich und pflegerisch Rechnung getragen werden müssen. Die von dem nachbehandelnden Dermatologen angefertigte Dokumentation scheint zudem zu beweisen, dass a) die Hautläsion ein viereckiges Muster (Kühlakkus) trägt und b) auf den beiden Fotos zehn und 17 Tage nach dem Insektenstich die Einstichstelle medial oberhalb der Hautläsion mit hoher Wahrscheinlichkeit zu identifizieren ist. Diese Einstichstelle ist allerdings vier Monate nach dem Ereignis logischerweise nicht mehr erkennbar (siehe Abb.).
Die Schlichtungsstelle empfahl die außergerichtliche Regulierung von Haftungsansprüchen.