Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 7/2016
Kasuistik
Ein Säugling, fast acht Monate alt, erkrankte akut Ende Januar mit Durchfall, Erbrechen und Schreien. Es erfolgte eine Vorstellung in einer Kinderarztpraxis. Nach klinischer Untersuchung und Ausschluss eines Harnwegsinfekts wurde die Diagnose einer Gastroenteritis gestellt und es erfolgte eine Verordnung symptomatischer Maßnahmen. Am selben Abend kam es zu einer Zunahme der Schmerzattacken und Auftreten blutigen Stuhls. Auch Fieber war inzwischen aufgetreten. Daher suchten die Eltern einen Kinderärztlichen Notdienst auf. Sie brachten auch eine Windel und einen Body mit, um auf das Blut hinweisen zu können. Nach einer klinischen Untersuchung durch die bereits am Morgen behandelnde Kinderärztin wurde die Diagnose der Gastroenteritis bekräftigt und das Kind in die häusliche Betreuung entlassen. Beim Besuch in der kinderärztlichen Praxis am nächsten Morgen wurde aufgrund der Verdachtsdiagnose einer Invagination eine Ultraschalluntersuchung des Abdomens durchgeführt und diese Diagnose bestätigt. Nach Einweisung des Kinds in die Kinderklinik wurde zunächst versucht, den Darm ohne Operation (hydrostatisch) wieder zu „entstülpen“. Da dies nicht vollständig gelang, wurde eine entsprechende Operation durchgeführt. Es musste ein Teil des Darms entfernt werden. Der weitere Verlauf war unkompliziert.
Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen
Die Eltern beanstanden, dass in der Nacht in der Notfallsprechstunde ihre Angaben zum blutigen Stuhl angezweifelt worden seien und keine weitergehenden Untersuchungen durchgeführt wurden.
Stellungnahme der Kinderärztin
Sie gibt an, dass sie in den mitgebrachten Stuhlproben nicht mehr als Blutspuren habe sehen können, sicher kein frisches Blut. Außerdem seien am selben Abend mehrere Kinder mit ähnlicher Symptomatik vorgestellt worden, so dass sie von einem grassierenden Virusinfekt ausgegangen sei. Auf die erneute Vorstellung des Kinds habe sie ausdrücklich hingewiesen und auch am nächsten Morgen deswegen mit den Eltern telefoniert.
Gutachten
Der kinderärztliche Gutachter hat nach Darstellung des Sachverhalts das Vorgehen der Kinderärztin in mehreren Punkten bemängelt. Aufgrund der elterlichen Angabe von blutigem Stuhl sei keine weitergehende Diagnostik durchgeführt worden (laborchemischer Blutnachweis, rektale Untersuchung) und die Diagnose einer Invagination bei typischer Symptomen-Konstellation (Alter des Kinds, Gastroenteritis, Schreiattacken, Erbrechen) sei nicht vermutet. Entsprechende (einfache) weitergehende Untersuchungen wie eine Ultraschalluntersuchung seien nicht veranlasst worden. Durch das Vorgehen der Kinderärztin sei es zur Verzögerung der Diagnosestellung um mehrere Stunden gekommen. Eine späte Diagnosestellung führe häufiger zur Notwendigkeit einer chirurgischen Intervention. Diese verlängert den stationären Aufenthalt des Kinds gegenüber einem konservativen Vorgehen.
Bewertung der Haftungsfrage
Die Schlichtungsstelle hat sich hinsichtlich der Bewertung des Behandlungsfehlers dem Gutachten angeschlossen. Zusammenfassend ist es im Übrigen hinreichend wahrscheinlich, dass durch eine verzögerte Diagnosestellung eine invasivere Therapieform (Operation statt Einlauf) notwendiger wurde als bei einer frühzeitigeren Diagnose.
Gesundheitsschaden
Die Operation selbst ist als fehlerbedingt zu bewerten. Der Säugling hatte einige Stunden länger Schmerzen und der Krankenhausaufenthalt wurde durch den notwendigen chirurgischen Eingriff verlängert. Bleibende Gesundheitsschäden sind nicht entstanden.
Fazit
Zwar sind Gastroenteritiden im Säuglingsalter häufig und auch das Auftreten kleinerer Blutbeimengungen nicht selten, so dass nicht immer eine Ultraschalluntersuchung erfolgen muss. Dennoch ist immer, besonders wenn Schreiattacken und sichtbare Blutmengen beobachtet werden, an die Möglichkeit einer Invagination zu denken, die typischerweise als Komplikation infolge gastrointestinaler Infekte (und selten auch als Folge einer Rotavirus-Impfung) auftreten kann.