Kasuistik
Im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens war die Behandlung durch Ärzte eines Krankenhauses, Abteilung für Chirurgie, zu prüfen.
Am 6. Februar war ein 38-jähriger Patient von einer Leiter gestürzt, hatte sich das rechte Handgelenk verletzt und stellte sich erstmals am Unfalltag im Krankenhaus vor. In der Röntgenaufnahme vom gleichen Tag wurde ein körperferner Bruch der rechten Speiche diagnostiziert, der drei Tage später operativ offen zurechtgestellt und mit einer Platte stabilisiert wurde. Der zusätzliche Bruch des Kahnbeins wurde am 6. Februar nicht erkannt und folglich auch nicht operativ versorgt. Ein Jahr später erfolgte im Krankenhaus die Entfernung der Platte.
Zwei Jahre später stellte sich der Patient im Klinikum vor. Zwischenzeitlich hatte sich ein Falschgelenk des Kahnbeins entwickelt, das im Klinikum radiologisch bestätigt und am 23. März operativ versorgt wurde. Das Kahnbein wurde offen rekonstruiert, mit einem Span vom Beckenkamm stabilisiert und verschraubt. Am 16. August erfolgte im Klinikum eine Spiegelung des rechten Handgelenkes und es wurde festgestellt, dass die Falschgelenkbildung nicht verheilt war, so dass am 23. November die Entfernung des Kahnbeins und eine Teilversteifung von vier Handwurzelknochen erforderlich wurde. Zusätzlich erfolgte eine Denervation des betroffenen Handgelenkes, bei der die schmerzleitenden Nervenfasern durchtrennt wurden.
Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen
Der Patient bemängelt, dass durch die Ärzte im Krankenhaus der Kahnbeinbruch übersehen und nicht gleichzeitig am 9. Februar bei der Osteosynthese der körperfernen Speiche durch eine Schraubenosteosynthese versorgt worden sei. Es habe sich wegen der fehlenden Stabilisierung des Kahnbeines im späteren Verlauf ein Falschgelenk entwickelt, so dass eine Entfernung der Kahnbein-Pseudarthrose, die Anlagerung eines Knochenspans vom Beckenkamm sowie eine Verschraubung erforderlich geworden seien. Letztendlich hätte das Kahnbein fehlerbedingt entfernt werden müssen und es sei eine Teilversteifung von vier Handwurzelknochen erforderlich geworden. Der Patient beklagt verbliebene Druckschmerzen über dem rechten Handgelenk sowie schmerzhafte Bewegungseinschränkungen, so dass körperliche Tätigkeiten unter Einsatz des rechten Handgelenkes heute nicht mehr möglich seien. Der Umfang der späteren Operation sei fehlerbedingt größer gewesen.
Stellungnahme Krankenhaus
Die Ärzte entgegnen, dass die Versorgung des Speichenbruchs fachgerecht erfolgt sei. Der Kahnbeinbruch sei so gut reponiert gewesen, dass er auf den Bildern nach der Operation am 9. Februar nicht mehr zu erkennen gewesen sei. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Gefahr einer Heilungsstörung eines Bruches sowohl bei konservativer als auch bei operativer Versorgung bestehe. Die geklagten Gesundheitsbeeinträchtigungen des Patienten seien nicht ursächlich auf das Übersehen des Kahnbeinbruches zurückzuführen.
Gutachten
Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter, Arzt für Chirurgie/Unfallchirurgie/ Plastische und Handchirurgie, ist der Ansicht, dass im Krankenhaus seinerzeit gegen geltende Standards verstoßen worden sei. Es habe bei den am 6. Februar entstandenen Brüchen eine Indikation für eine osteosynthetische Stabilisierung bestanden. Die Versorgung der Speiche am 9. Februar sei fachgerecht erfolgt. Der Kahnbeinbruch vom 6. Februar hätte operativ versorgt werden müssen. Korrekt sei die postoperative Nachbehandlung des Speichenbruchs erfolgt, wobei der Kahnbeinbruch unberücksichtigt geblieben sei. Der zwei Jahre später am 23. März durchgeführte Revisionseingriff sei angezeigt gewesen. Ein weiterer Revisionseingriff sei wegen eines Zusammenbruchs der rechten Handwurzelknochen erforderlich geworden.
Die Revisionseingriffe sprächen für eine fehlerhafte Primärversorgung. Der übersehene Kahnbeinbruch sei nicht behandelt worden. Hierdurch und durch die frühe Mobilisation habe sich zwangsläufig eine Falschgelenkbildung des Kahnbeins entwickelt.
Bewertung der Haftungsfrage
Auch nach Bewertung durch die Schlichtungsstelle war der Bruch am Kahnbein auf den Röntgenaufnahmen vom 6. Februar erkennbar und hätte wegen seiner Lokalisation und der schlechteren Blutversorgung des proximalen Fragmentes bei der operativen Versorgung des Speichenbruchs mitversorgt werden müssen.
Gesundheitsschaden
Bei korrektem Vorgehen wäre nach ärztlicher Erfahrung nach Osteosynthese der Kahnbeinfraktur mittels Herbertschraube und Versorgung der Radiusfraktur sowie anschließender ergotherapeutischer Therapiemaßnahmen bei knöchernem Durchbau der Frakturen mit einer Behandlungszeit von zwei bis drei Monaten zu rechnen gewesen. Durch das fehlerhafte Vorgehen ist es zu folgenden zusätzlichen Gesundheitsbeeinträchtigungen gekommen:
- Entfernung des Kahnbeins und Teilversteifung von vier Handwurzelknochen, hierbei handelt es sich um einen Dauerschaden
- Deutliche Verlängerung des Behandlungszeitraums über ein halbes Jahr hinaus
- Lokalisierbare Druckschmerzen über dem rechten Handgelenk und erhebliche schmerzhafte Bewegungseinschränkungen
Fazit
Die zeitnahe Diagnose einer frischen proximalen Kahnbeinfraktur führt nach streckseitiger offener Schraubenosteosynthese prognostisch zu einem guten Ausheilungsergebnis. Wird die Fraktur nicht erkannt, kann es zur Ausbildung eines Falschgelenks und arthrotischen Veränderungen kommen mit nachfolgendem karpalem Kollaps und der Notwendigkeit einer Teilversteifung der Handwurzelknochen.