Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Unzureichende Überwachung nach einer zahnärztlichen Operation in Narkose

Insufficient Monitoring after a Dental Operation under General Anesthesia

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 05/2005

Kasuistik

Der Patient unterzog sich einer Extraktion seiner Weisheitszähne in Narkose. Nach Beendigung der Operation und der Narkose wurde der Patient in den Aufwachraum verlegt. Im Aufwachraum verließ der Patient, der zu diesem Zeitpunkt nicht beaufsichtigt war, sein Bett und stürzte. Bei dem Sturz zog er sich Verletzungen an einer Hand zu, die chirurgisch versorgt werden mußten. Der Patient führte seinen Sturz und die daraus resultierenden Verletzungen auf eine nicht ausreichende Überwachung im Aufwachraum zurück und beantragte ein Schlichtungsverfahren zur Überprüfung der bei ihm durchgeführten Behandlung.

Seitens der in Anspruch genommenen Ärzte wurde folgendes dargestellt: Der Operations- und Narkoseverlauf sowie die Ausleitungsphase der Narkose seien vollständig unauffällig verlaufen. Der Patient sei kreislaufstabil und wach in den Aufwachraum verlegt worden. Die für den Aufwachraum und damit auch für die Überwachung des Patienten zuständige Krankenschwester wurde in den Operationsbereich gerufen, um bei der Einleitung der Narkose eines anderen Patienten zu assistieren. Während dieser Zeit sei der Patient im Aufwachraum weder durch eine Krankenschwester noch eine andere Person überwacht worden.

Die Ärzte machten geltend, daß wegen der vorübergehenden Abwesenheit der Krankenschwester im Aufwachraum als besondere Sicherungsmaßnahmen Bettgitter angebracht worden seien, die ein Verlassen des Bettes durch den Patienten verhindern sollten.

Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter stellte zunächst fest, daß für den Eingriff eine Narkose indiziert gewesen sei. Die Narkose sei fehlerfrei durchgeführt worden. Nach den dokumentierten Vitalparametern geht der Gutachter davon aus, daß der Patient nach der Narkose kreislaufstabil gewesen sei. In den Unterlagen ist festgehalten, daß der Patient nach der Narkose unbeaufsichtigt aufgestanden sei.

Der Gutachter führt aus, daß grundsätzlich der Anästhesist für die Überwachung eines Patienten in der Aufwachphase nach einer Narkose verantwortlich sei. Der hier eingetretene Gesundheitsschaden des Patienten sei auf eine fehlerhaft durchgeführte Überwachung zurückzuführen. Der Gutachter schränkt seine Aussage aber dahingehend ein, daß es nicht bei jedem frisch Operierten möglich sei, ihn von einer Krankenschwester bzw. anderen Person solange überwachen zu lassen, bis die Medikamentenwirkung vollständig abgeklungen sei. Er führt weiterhin aus, daß selbst unter einer korrekt durchgeführten Überwachung ein ähnliches Geschehen nicht absolut vermeidbar sei.

Die Schlichtungsstelle hat sich den Ausführungen des Gutachters nicht vollständig anschließen können. Sie stimmt mit dem Gutachter überein, daß die Narkose indiziert war und medizinisch korrekt durchgeführt worden ist.

Die Schlichtungsstelle hat in diesem Fall – wie der Gutachter – festgestellt, daß die nicht kontinuierlich durchgeführte postoperative Überwachung im Aufwachraum durch eine dafür geeignete Person eine Sorgfaltspflichtverletzung darstellt. Bei einer adäquaten Überwachung wäre das unbeaufsichtigte Aufstehen unter abklingender Narkosewirkung, von der im vorliegenden Fall ausgegangen werden mußte, vermeidbar gewesen sei. Aufgrund der nicht sachgerecht durchgeführten Überwachung des Patienten im Aufwachraum ist es zu dem Sturz kommen, der zu den Verletzung an der Hand führte.

Darüber hinaus ist seitens der Schlichtungsstelle anzumerken, daß insbesondere das Anbringen von Bettgittern bei nicht fixierten Patienten das Risiko einer Verletzung erhöht. Ein Patient, der das Bett verlassen möchte, und unter der abklingenden Wirkung von Anästhetika steht, wird versuchen, auch angebrachte Bettgitter zu überwinden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß, auch wenn der Patient wach und als adäquat reagierend beschrieben worden ist, Restwirkungen der für die Narkose eingesetzten Medikamente vorhanden sind. Diese Restwirkungen der Anästhetika können u. a. zu Koordinierungs- und Wahrnehmungsstörungen führen. Insofern hätte der Patient zu keinem Zeitpunkt unbeaufsichtigt bleiben dürfen, unabhängig, ob Bettgitter angebracht worden waren oder nicht. Personalwirtschaftliche Argumente, die der Gutachter angeführt hat, müssen nach Auffassung der Schlichtungsstelle hinter den medizinischen Notwendigkeiten zurückstehen. Eine solche Notwendigkeit stellt die lückenlose Überwachung des Patienten durch eine Krankenschwester bzw. eine andere, fachkundige Person dar.

Als schuldhaft verursachten Schaden hat die Schlichtungsstelle die Handverletzung, die Schmerzen und die chirurgische Versorgung der Hand sowie die damit einhergehenden Beeinträchtigungen festgestellt. Im vorliegenden Fall ist nur eine vergleichsweise geringfügige Verletzung eingetreten. Aus gleicher Ursache können aber auch erheblich schwerere Verletzung entstehen, insbesondere Schädelhirntraumata und Knochenbrüche. Die Schlichtungsstelle hat in diesem Falle den Parteien empfohlen, die Frage einer außergerichtlichen Regulierung zu prüfen.

Autoren:

Schaffartzik

Prof. Dr. med. Walter Schaffartzik

Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin sowie
Vorsitzender der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover