Ureter-Ligatur bei Sectio caesarea (Die unterlassene intraoperative Ureter-Darstellung)
Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 08/2000
Einleitung
Bei postoperativ auftretenden Harnleiter-Komplikationen nach gynäkologischen Operationen besteht kein Zweifel am Kausalzusammenhang zwischen Schaden und Operation. Deshalb ist die Zahl forensischer Auseinandersetzungen nach Auftreten derartiger Komplikationen außerordentlich hoch. Bei der Sectio caesarea hingegen ist die Ureter-Laesion eine seltene Komplikation, die allerdings meist zu spät erkannt wird.
Allerdings fanden EISENKOP und RICHMAN (1982) bei 7527 Sectiones sieben Fälle, von denen fünf intraoperativ erkannt und therapiert wurden. Drei davon waren durch eine zur Blutstillung angelegte Ligatur verursacht worden.
Die Behandlungsfehlervorwürfe können sich beziehen:
- afunktionsfähigen Ur
- auf das Auftreten der Komplikationen an sich („prima facie“),
- auf das intraoperative Nichterkennen der Harnleiter-Laesion,
- auf die postoperative nicht rechtzeitige Diagnosestellung,
- auf eine fehlerhafte Behandlung zur Wiederherstellung der Kontinuität eines funktionsfähigen Ureters
Kasuistik
Bei einer 23 jährigen I- Gravida, die in der 40. Schwangerschaftswoche 13 h nach vorzeitigem Blasensprung mit leichter Wehentätigkeit und auf 3 cm erweitertem Muttermund zur Kreißsaal Aufnahme kam, wurde 8 h später bei vollständig eröffnetem Muttermund und Nichteintreten des kindlichen Kopfes bei dorso-posteriorem hohen Geradstand (Positio occipitalis sacralis) von einer Assistenzärztin (ein Oberarzt assistierte) eine Sectio caesarea (Misgav-Ladach-Technik) durchgeführt. Die Entwicklung des kindlichen Kopfes, die in Richtung auf das Biegungs-Difficilimum erfolgen mußte, erwies sich als schwierig, so daß es erforderlich war, die Uterotomie-Wunde digital zu erweitern. Die Wunde im unteren Uterinsegment wurde nach Entfernung der Plazenta durch fortlaufende atraumatische Vicryl-Naht verschlossen.
Danach wurden rechts “ zur Herstellung der Haemostase zwei zusätzliche Z- Nähte angelegt „.
Am dritten Tag post operationem traten rechtsseitige Flankenschmerzen auf. Durch Sonographie wurde eine Nierenstauung rechts festgestellt, die einen Tag später zunahm, und bei einer Ausscheidungs-Urographie ergab sich der dringende Verdacht auf Harnleiter-Laesion rechts.
Die Urologen versuchten den rechten Ureter retrograd zu sondieren, fanden 5 cm oberhalb des Ostium einen kompletten Harnleiter-Verschluß und führten eine perkutane Nephrostomie, bei der der komplette praevesikale Harnleiter- Verschluß durch orthograde Sondierung bestätigt wurde, durch.
Acht Wochen später erfolgte die definitive Versorgung der Harnleiter-Laesion. Transperitoneal konnte der Stenose-Bereich erst nach Cystotomie und Sondierung vom rechten Ureter-Ostium aus lokalisiert werden. Er fand sich, wie vordiagnostiziert, 4 cm praevesikal. Der 5 mm lange narbig obliterierte Ureter-Abschnitt wurde reseziert, und über eine antegrad eingeführte Ureter-Schiene wurde spannungsfrei die Re-Anastomosierung durchgeführt. Die histologische Untersuchung des resezierten Ureter-Anteils ergab eine narbige Wandfibrose mit umschriebener Lichtungsobliteration. Der postoperative Verlauf war komplikationslos, die Nachuntersuchungen zeigten eine Restitutio ad integrum.
Der Patientin war nach der Operation mitgeteilt worden, man habe bei der Sectio den rechten Harnleiter “ mit angenäht „. Sie vermutete einen ärztlichen Behandlungsfehler und hat deshalb anwaltlich vertreten bei der Schlichtungsstelle der Norddeutschen Ärztekammern die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens beantragt.
Das Gutachten
Operationsindikation und Durchführung der Sectio nach der Misgav-Ladach-Technik sind nicht zu beanstanden. Die Schwierigkeiten bei der Kopfentwicklung waren durch den dorso- posterioren hohen Geradstand 21 h nach vorzeitigem Blasensprung bedingt. Alternative Möglichkeiten der Kopfentwicklung, nämlich die Anwendung des Sectio-Löffels, der Sectio-Zange, des Vacuum-Extraktors und das Herausdrücken des kindlichen Kopfes per vaginam durch eine Hilfsperson werden diskutiert.
Alle diese Maßnahmen können aber nicht zuverlässig das Weiterreißen der Uterotomie-Wunde, zu dem es mit großer Wahrscheinlichkeit im Falle der Antragstellerin gekommen ist und das zu den Blutungen führte, die durch Z-Nähte gestillt werden mußten, verhindern, so daß man den Operateuren auch nicht den Vorwurf einer nicht fachgerecht durchgeführten Kopfentwicklung machen könne.
Das Ein- und Weiterreißen der Uterotomie-Wunde ist eine typische Komplikation bei der Sectio caesarea und oft mit starken Blutungen aus den Uteringefäßen verbunden.
Ob bei der Antragstellerin tatsächlich eine starke Blutung aufgetreten ist, sei aus dem Operationsbericht nicht sicher abzuleiten. Da weder im Operationsbericht noch in der Epikrise und in der Stellungnahme der Klinik von Bluttransfusionen oder einer Anämie die Rede ist, erscheine es eher unwahrscheinlich daß eine massive Blutung bestand.
Es sei nicht erkennbar, wo die beiden zur Herstellung der Haemostase zusätzlich gelegten Z- Nähte placiert wurden, ob im Wundwinkel der Uterotomie oder paracervical. Die Blutungsquelle konnte offensichtlich nicht exakt lokalisiert und identifiziert werden, so daß die beiden Z-Nähte unkontrolliert gelegt wurden. Das ist in diesem Bereich wegen der unmittelbaren Nähe des Ureters zur Uteruskante mit einem hohen Risiko der Ureter-Laesion (z. B starke Abknickung des Ureters; z. B. Durchstechung oder komplette Ligatur des Harnleiters) verbunden.
Deshalb muß in einer derartigen Situation der Ureter eindeutig identifiziert werden. Das bedeutet nicht, daß es erforderlich ist ( wie es manche Autoren fordern), den Ureter in allen Verdachtsfällen und womöglich noch bis zur Einmündung in die Blase zu kontrollieren. Man geht davon aus, daß dann die bei der Ureter-Präparation auftretende Komplikationsrate (Blutungen) über der Komplikationsrate von Ureter -Verletzungen ohne Ureter-Darstellung liegen würde.
Die Darstellung des Ureters von der Kreuzung mit den Iliacalgefäßen in Höhe des Ligamentum infundibulo-pelvicum bis zur Kreuzung mit den Uterina-Gefäßen sei jedoch unproblematisch und müsse von jedem Operateur beherrscht werden. Dabei wird empfohlen, den Uterus vor die Bauchdecke zu lagern, weil durch Anspannung des Para-Gewebes eine bestehende Blutung deutlich verringert und außerdem das Operationsfeld übersichtlicher wird. Außerdem gehöre es zur Misgav-Ladach-Technik, daß der Uterus zum Verschluß der Uterotomie-Wunde aus dem Becken vor die Bauchdecke gelagert wird.
Aus dem Operationsbericht ergebe sich kein Hinweis darauf, daß bei den unkontrollierten Umstechungen an das Risiko einer Ureter-Laesion gedacht wurde. Bei der Darstellung des Ureters bis zu den Uterina- Gefäßen wäre die durch die beiden Umstechungen verursachte Ureter-Ligatur erkannt worden. Die Ligaturen hätten entfernt werden können. Nach kurzfristiger Quetschung des Ureters (z.B. durch eine Ligatur) bedürfe es nach Entfernung der Fäden keiner weiteren Therapie.
Den Operateuren sei nicht vorzuwerfen, daß eine Ureter-Ligatur erfolgte, denn bei einer starken Blutung in diesem Bereich (so sie bestand) kann die sofortige Identifizierung des Ureters sehr schwierig sein, so daß das Anlegen von Klemmen oder die Durchführung von Umstechungen manchmal nicht zu umgehen ist.
Vorwerfbar seien jedoch die Fehleinschätzung und das Vertrauen darauf, daß schon alles in Ordnung sein würde, was zu Unterlassung der gebotenen Ureter-Revision führte.
Mängel oder Fehler bei der postoperativen Überwachung und Behandlung nach der Sectio caesarea seien nicht zu erkennen. Sofort nach dem Auftreten des für die Harnabflußstörung typischen Flankenschmerzen wurde durch Sonographie die rechtsseitige Nierenstauung erkannt und die erforderliche zielgerichtete urologische Behandlung, die zu einer Restitutio ad integrum führte, eingeleitet.
Beurteilung des Sachverhalts durch die Schlichtungsstelle
- Die Sectio wurde aus anerkannter Indikation durchgeführt.
- Die Operationstechnik (nach Misgav-Ladach), die heute weit verbreitet und auch anerkannt ist, ist nicht zu beanstanden und für den am rechten Harnleiter entstandenen Schaden nicht ursächlich.
- Zweifelsfrei wurde und zwar beim “ blinden“ Anlegen von zwei Z-Nähten zur Blutstillung im Bereich der des rechten lateralen Uterotomie-Winkel der rechte Harnleiter ligiert Nach solchen unkontrollierten Umstechungen, die bei akuten Blutungen notwendig sein können , wäre eine Freilegung des Ureters und damit der Nachweis seiner Unversehrtheit bzw. die sofortige Feststellung der unbeabsichtigten Ureter -Ligatur zwingend geboten gewesen. Man hätte dann die durch die beiden Umstechungen verursachte Ligatur des Harnleiters erkennen und die Ligaturen entfernen können.
- Der ärztliche Behandlungsfehler, nämlich die Unterlassung der gebotenen Darstellung des rechten Ureters war vermeidbar.
- Fehlerbedingt sind die durch Abfluß-Störung im Bereich der rechten ableitenden Harnwege verursachten Schmerzen, die perkutane Nephrostomie und die daraus resultierenden Beeinträchtigungen und Beschwerden und die invasive fachurologische Diagnostik sowie die operative Intervention zur Wiederherstellung der Kontinuität des rechten Ureters anzusehen.
- Die Behandlungsdauer hat sich fehlerbedingt um 14 Wochen verlängert.
Die Schlichtungsstelle hält Schadensersatzansprüche für begründet und hat empfohlen, die Frage einer außergerichtlichen Regulierung zu prüfen.
Lit.: EISENKOP S.M., R.RICHMAN et al. Urinary tract injury during cesarian section . Obstetr. Gynecol. 60 (1982) 591-596