Unrecognized Squamous Cell Carcinoma of the Finger
Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 01/2005
Einleitung
Häufige und in der Regel harmlose Hautveränderungen können den behandelnden, niedergelassenen Arzt leicht dazu verführen, die Sorgfalt bezüglich der üblichen Fragen nach Anamnese, Befund und Differentialdiagnosen sowie deren Dokumentation zu vernachlässigen. Der folgende besonders krasse Fall zeigt wie aus mehreren „kleinen Nachlässigkeiten“ ein schwerwiegender Fehler werden kann.
Kasuistik
Ein 60jähriger Mann stellte sich wegen einer Hautveränderung am linken Ringfinger bei seinem Hausarzt vor. Eine „Verruca“ wurde diagnostiziert und während eines Jahres insgesamt 6 mal lasertherapiert. Eine histologische Untersuchung fand nach 8 Monaten vom Curettagematerial statt. Ergebnis: Seborrhoische Keratose.
Nach einem Jahr erfolgte die Überweisung zu einem Dermatologen, der eine “Verruca palmaris Z. n. Laserbehandlung“ diagnostizierte und eine Lokaltherapie verordnete.
Sechs Wochen später stellte sich der Patient mit einem nun 13 x 11 mm großen exophytischen Tumor im behandelten Bereich in einem ambulanten Operationszentrum vor, wo eine Excision erfolgte. Histologisch wurde ein Plattenepithelkarzinom diskutiert. Nach stationärer Aufnahme in einer Universitätshautklinik erfolgte eine zweimalige Nachexcision, wobei sich die Diagnose eines undifferenzierten Plattenepithelkarzinoms bestätigte. Da eine Exzision im Gesunden nicht gelang, mußte der 4. Finger amputiert werden. Wegen Metastasierung wurde einen Monat später eine axilläre Lymphknotendissektion nötig, neun Monate später kam es zum Rezidiv mit Infiltration des Plexus axillaris. Trotz Radiochemotherapie kam es zum Progreß mit visceraler Metastasierung. Nach weiteren neun Monaten verstarb der Patient an seinem Tumorleiden.
Die Witwe des Patienten erhob Vorwürfe gegen den behandelnden Hausarzt. Er habe die falsche Diagnose gestellt und dadurch die Behandlung des Tumors verzögert.
Das meint der Gutachter …
Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter kam zu folgender Wertung:
- In den Unterlagen des behandelnden Hausarztes beständen gravierende Dokumentationsmängel. Es fände sich lediglich der Eintrag „ Verrucae“ ohne Bezeichnung der Lokalisation und ohne Befundbeschreibung. Aus den eingetragenen GOÄ-Ziffern könne auf eine Laserbehandlung geschlossen werden, weder der Lasertyp noch die Einstellungen des Lasers sind dokumentiert Nachdem der Patient sich zum 6. Mal vorgestellt hatte, finde sich dann der Eintrag „ Verruca, groß Finger“ ( Dokumentationsmangel).
- Die Behandlung der fälschlich diagnostizierten Warze am 4. Finger links sei von vornherein und über den gesamten Behandlungszeitraum hinweg fehlerhaft gewesen und habe gegen anerkannte Regeln der Heilkunde verstoßen. Wegen des für eine Warze untypischen Alters des immunkompetenten Patienten sowie der nicht ganz typischen Lokalisation hätte vor den Behandlungsmaßnahmen eine genaue Inspektion mit anschließender typischer Befundbeschreibung (z. B. hämorrhagische Pünktchen u.ä.) oder weitere diagnostische Abklärung über eine histologische Untersuchung erfolgen müssen. Die erste Gewebeuntersuchung 8 Monate nach Behandlungsbeginn sei mit nicht repräsentativem Gewebematerial erfolgt, daher die Fehldiagnose „seborrhoische Keratose“. Allein die Lokalisation des Prozesses und die Tatsache, daß seborrhoische Keratosen nach Entfernung nicht innerhalb von 14 Tagen rezidivieren, hätte auch zu diesem Zeitpunkt eine weitere Abklärung erforderlich gemacht.
- Die Diagnose hätte zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt gestellt werden müssen, so daß es zumindest nicht zur Fernmetastasierung hätte kommen können.
- Wahrscheinlich habe die ständige Irritation des Tumors durch die Behandlungsmaßnahmen zur Herausbildung einer aggressiven Unterart des Plattenepithelkarzinoms geführt, das dann zur Metastasierung geführt hat.
Als direkte Folge des ärztlichen Fehlers werden festgestellt:
- unnötige Lokalbehandlung des Befundes am Finger. Durch Oberflächen- und Lasertherapie über Monate ertragene Schmerzen.
- Amputation des 4. Fingers links
- Fortschreiten des Tumorwachstums mit der Folge der Lymphknotendissektion, späteren Radiochemotherapie. (Das Gutachten wurde vor Bekanntwerden des Todes des Patienten fertiggestellt).
Die Schlichtungsstelle …
schloß sich nach Durchsicht der gesamten Unterlagen dem Urteil des Gutachters in allen Punkten an. Die Diagnose des Hautkrebses am linken 4. Finger wurde fehlerhaft und schicksalsentscheidend nicht rechtzeitig gestellt.
Des Weiteren sah die Schlichtungsstelle auch die durch das Tumorleiden entstandene Schmerzsymptomatik und den tödlichen Ausgang als fehlerbedingte Folgen an.