Injury to the Accessory Nerve during Lymph Node Extirpation in the Lateral Cervical Region
Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 12/2000
Kasuistik
Bei einer 32jährigen, ansonsten gesunden Frau wurde zur histologischen Abklärung ein kirschgroßer Lymphknoten an der linken Halsseite in Allgemeinanästhesie entfernt. Die histologische Untersuchung ergab den harmlosen Befund einer unspezifischen Lymphadenitis. Bereits unmittelbar nach der Operation stellte die Patientin eine Bewegungseinschränkung im Bereich der linken Schulter mit Behinderung der Armhebung fest. Zwei Monate nach der Operation erfolgte eine erste neurologische Untersuchung. Hierbei wurde ein kompletter Ausfall des linken N. accessorius festgestellt. Drei Monate nach der Lymphknotenexstirpation wurde eine neurochirurgische Revision des Operationsgebietes durchgeführt. Es fand sich eine vollständige Durchtrennung des N. accessorius. Ein Neurom am zentralen Nervenstumpf wurde entfernt, die Defektstrecke wurde durch ein vom N. suralis entnommenes Interponat überbrückt. Acht Monate nach diesem Eingriff waren noch keine Reinnervationssignale nachweisbar.
Die Patientin sah in der Nervenverletzung einen vermeidbaren Behandlungsfehler und wandte sich an die Schlichtungsstelle.
Der chirurgische Gutachter beurteilte den Vorgang wie folgt
- Die Indikation zur Lymphknotenexstirpation war gegeben, um schnellstmöglich zur Diagnose zu gelangen.
- Die Durchtrennung des linken N. accessorius erfolgte zweifelsfrei anläßlich der Lymphknotenexstirpation.
- Das operationstechnische Vorgehen bei der Lymphknotenexstirpation war fehlerhaft. Zitat aus dem Operationsbericht: „… wird über dem palpablen Tumor die Haut ca. 1 cm inzidiert, der Lymphknoten präpariert, Vasa efferens und afferens ligiert und der Lymphknoten entfernt. Er wird zur histologischen Begutachtung eingeschickt. Die Haut wird mittels DONATI-Naht versorgt. …“. Aus diesem Operationsbericht ist das operative Vorgehen nicht nachzuvollziehen. Es wird nicht beschrieben, in welcher Weise der Schonung des N. accessorius bei der Operation Rechnung getragen wurde. Es ist bekannt, daß bei Operationen im mittleren und oberen Bereich des seitlichen Halsdreieckes immer das Risiko einer Verletzung dieses dort subkutan verlaufenden Nerven besteht. Es ist bei derartigen Eingriffen zu fordern, daß der N. accessorius nach flachem Hautschnitt zunächst identifiziert wird, bevor man mit der Präparation des tiefer gelegenen Zielbefundes beginnt. Ein 1 cm langer Hautschnitt bietet keine ausreichende Übersicht und läßt keine exakte Darstellung der subkutan liegenden Strukturen zu. Die fehlende Herstellung der Übersichtlichkeit des Operationsgebietes ist oftmals die Ursache für eine scharfe oder stumpfe Schädigung des N. accessorius. Auch im vorliegenden Fall muß die Durchtrennung des N. accessorius als Folge eines vermeidbaren operationstechnischen Fehlers eingeschätzt werden.
- Der vorerst noch vollständige Ausfall des N. accessorius hatte zunächst eine erheblich Verlängerung der Behandlungsdauer zur Folge, wobei die gesamte den Nervenschaden betreffende operative und konservative Behandlung fehlerbedingt ist. Im privaten Bereich wird der komplette Ausfall des N. accessorius mit einem Grad der Behinderung von 20 – 25 %, im beruflichen Bereich mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 – 25 v.H. bewertet. Etwa 2 Jahre nach Ausführung der Nervenrekonstruktion sollte eine neurologische Nachuntersuchung erfolgen, um festzustellen, ob und in welchem Grade eine Besserung der Nervenfunktion oder eine Kompensation der Muskelausfälle durch krankengymnastische Maßnahmen eingetreten ist.
Die Schlichtungsstelle folgt in der Beurteilung des Behandlungsfehlers uneingeschränkt den Wertungen des Gutachters. Operative Verletzungen des N. accessorius müssen in den vielen Fällen als vermeidbare Fehler angesehen werden.
Eine Operation im oberen und mittleren Bereich des seitlichen Halsdreieckes setzt die Kenntnis der topographischen Anatomie dieser Region voraus. Der Operateur muß wissen, daß er hier auf den subkutan verlaufenden N. accessorius trifft. Für tiefer gelegene Gebilde, wie insbesondere Lymphknoten, ist zur genauen Präparation ein entsprechend langer Hautschnitt erforderlich. Damit ist operationsstrategisch vorgegeben, daß der N. accessorius sicher identifiziert werden muß, bevor man in die tiefere subkutane Region vordringt. Die Identifikation bzw. Darstellung des N. accessorius gehört in den Operationsbericht. Erfahrungsgemäß bedingen zwei Umstände eine beträchtliche Risikoerhöhung bzgl. einer N. accessorius-Verletzung:
- Operation ohne Assistenz
- Operation, speziell Lymphknotenexstirpationen in Lokalanästhesie
Als unvermeidbar wäre eine N. accessorius-Verletzung z.B. dann zu betrachten, wenn das Operationsgebiet durch narbige und/oder entzündliche Prozesse so verändert ist, daß die Identifikation des Nerven hierdurch erschwert wird. Dies ist im Operationsbericht durch eine entsprechend genaue Befundbeschreibung festzuhalten. Selbstverständlich muß aus den Krankenunterlagen auch die klare Indikation zu dem Eingriff hervorgehen.