Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Verminderte Schmerzwahrnehmung und Motorik durch eine rückenmarksnahe Regionalanästhesie erhöht das Risiko von Dekubitalulcera

Kasuistik

Im Rahmen des Schlichtungsverfahrens war die Behandlung einer 17-jährigen Patientin durch die Ärzte einer Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie zu prüfen.

Aufgrund von Schmerzen in der linken Leiste und Hüfte stellte ein Facharzt für Orthopädie eine Überweisung am 29. Juli in das Klinikum aus zur Abklärung und gegebenenfalls operativen Behandlung der linken Hüfte. Nach klinischer Untersuchung wurde eine stationäre Aufnahme für den 29. September vereinbart. Eine erneute Kernspintomographie des Beckens ergab zwei zystische Läsionen des Schenkelhalses, Hinweise für ein CAM- und Pincer-Impingement lagen vor.

Am 30. September erfolgte in Rechtsseitenlagerung der operative Eingriff an der linken Hüfte unter der Operationsdiagnose: „CAM-Impingement, Synovialitis, Schenkelhalszyste, erstgradige Chondromalazie acetabulär“. Es erfolgte eine chirurgische Hüftluxation mit Trochanter-Flip, eine Synovialektomie bei klinischem Verdacht auf eine pigmentierte villonoduläre Synovitis (PVNS), Zystenausräumung und Schenkelhalstaillierung. Gewebsproben gelangten zur mikrobiologischen und histologischen Untersuchung, die den Verdacht bestätigte. Die postoperative Schmerzbehandlung erfolgte über einen Periduralkatheter. Eine Bewegungsbehandlung sollte nach Entfernen der Redondrainage auf der Motorschiene erfolgen. Eine sechswöchige Teilbelastung mit zehn Kilogramm Körpergewicht unter Vermeidung einer aktiven Abduktion wurde verordnet. Am ersten postoperativen Tag wurde ein Taubheitsgefühl im rechten Bein festgestellt. Es erfolgte eine Übung auf der Motorschiene unter Aussetzen der Periduralkatheterpumpe und es wurde der Urinkatheter gewechselt. Am zweiten Tag postoperativ wurde ärztlich dokumentiert: „Beschwert sich über Taubheitsgefühl und eingeschränkte Fußhebung rechts“. Mittags wurde notiert: „Noch Taubheitsgefühl rechtes Bein, Pumpe gestoppt“. Es erfolgten eine Röntgenkontrolle und die Entfernung des Periduralkatheters. Am dritten postoperativen Tag wurde eingetragen: „Linker Fuß Cave Druckstelle an Außenkante, Ferse und Knöchel, mit Watte umwickelt“ und am Folgetag: „Leichte Druckstelle an der rechten Ferse, wird gelagert und entlastet“. Entsprechende Behandlungsmaßnahmen mit Fersenfreilegung wurden dokumentiert.

Am 7. Oktober erfolgte die Entlassung in die ambulante Weiterbehandlung. Der histologische Befund beschreibt einen am ehesten vorliegenden Riesenzelltumor vom diffusen Typ, gleichbedeutend mit einer pigmentierten villonodulären Synovitis. Der weiterbehandelnde Hausarzt beschrieb einen Dekubitus an der lateralen Fußsohle links und ein Fersendekubitus rechts mit oberflächlicher Nekrosebildung, die sich im Verlauf bis Mitte Oktober demarkierte und schließlich Anfang Dezember abfiel.

Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen

Die Patientin bemängelt die Lagerung nach der Hüftoperation am 30. September. Durch falsche Lagerung sei am rechten Fußballen sowie am linken Fuß eine Druckschädigung entstanden, die zu einem Hautdefekt geführt hätte. Die Schädigung habe zusätzliche Schmerzen bereitet.

Stellungnahme Krankenhaus

Eine erste schriftliche Dokumentation über eine Druckstelle am linken Fuß sei vom 3. Oktober vorhanden. Es seien Behandlungsmaßnahmen durchgeführt worden. Der linke Fuß sei mit Watte umwickelt und eine Freilagerung angeordnet worden. Das Bein habe auf einer Volkmann-Schiene gelegen, um den venösen Rückfluss zu verbessern. Am Operationstag selbst habe die Patientin nicht mobilisiert werden können aufgrund einer Taubheit im rechten Bein. Diese sei durch einen einliegenden Schmerzkatheter verursacht worden. Die Taubheit habe sich am 2. Oktober gelöst. Nach Feststellung der Druckstelle am 3. Oktober seien kreislaufanregende und lokale Maßnahmen zur selbständigen Mobilisation der Patientin eingeleitet worden.

Gutachten

Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter, Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie, führt aus, dass Anlass für den Hüfteingriff im Klinikum Hüftschmerzen links gewesen seien, die seit dem 15. Lebensjahr bestanden und nach kernspintomographischer Abklärung den Nachweis von Schenkelhalszysten und ein Impingement-Syndrom erbracht hätten. Intraoperativ habe sich eine ungewöhnliche Synovialitis, histologisch als pigmentierte villonoduläre Synovitis (PVNS), gezeigt. Patientenseits bemängelt werde die postoperative Entstehung von Druckstellen. Diese seien ärztlich und pflegerisch fotodokumentiert. Dabei handele es sich um eine knapp handtellergroße Druckstelle an der rechten Ferse sowie um eine um ein Drittel kleinere Druckstelle an der linken Fußunterseite in Höhe des 3. bis 5. Mittelfußknochens. Als Ursache für die Druckstellen kämen grundsätzlich zwei Möglichkeiten in Betracht: Erstens eine ungenügende Lagerung im OP und zweitens ein postoperativer Lagerungsfehler im Aufwachraum oder auf der Tagesstation.

Zu Punkt 1 sei festzustellen, dass die Möglichkeit einer Druckstellenentwicklung während der Operation unwahrscheinlich sei, zumal der Eingriff in Rechtsseitenlage stattgefunden habe. Eine Druckbelastung der rechten Ferse und des linken Mittelfußes kaudal/lateral sei in dieser Lagerungsposition nicht vorstellbar.

Zu Punkt 2: Von der Antragstellerin sei ein Foto der rechten Ferse vorgelegt worden, das am 1. Oktober entstanden seien soll. Es sei nicht möglich, die Richtigkeit dieser Zeitangabe zu beurteilen. Unterstelle man die Korrektheit der Zeitangabe, würde dies bedeuten, dass bereits am ersten postoperativen Tag an der rechten Ferse eine Druckstelle vorhanden gewesen wäre. Somit müsste sie innerhalb der ersten 24 Stunden postoperativ entstanden sein. Bei einer ungestörten Sensibilität und Motorik sei dies im Krankenbett nicht vorstellbar. Es sei jedoch an den ersten beiden postoperativen Tagen mehrfach eine ausgeprägte Gefühlsstörung der unteren Extremitäten dokumentiert. Diese sei auf den Periduralkatheter zurückzuführen.

Es handele sich um eine Situation, die einer tiefen Querschnittslähmung ähnlich sei, weshalb auch die Notwendigkeit bestanden habe, einen Urinkatheter einzulegen. Der Zeitraum der Sensibilitätsstörungen der Beine habe sich bis zum 2. Oktober erstreckt. Zu diesem Zeitpunkt sei der Periduralkatheter entfernt worden, das heißt nach maximal 48 Stunden. Bei Vorliegen von Gefühlsstörungen könne das Schmerzempfinden ausgeschaltet sein, sodass Körperteile einer permanenten Druckeinwirkung unbemerkt stundenlang ausgesetzt seien könnten. Eine solche permanente Druckeinwirkung würde zu lokalen Durchblutungsstörungen, letztlich zu einem Gewebsuntergang führen. Es sei davon auszugehen, dass eine erhöhte Druckbelastung für die rechte Ferse und für die linke Fußsohle der Patientin vorgelegen habe, wobei die Betroffenheit der rechten Ferse leicht nachvollziehbar sei. Hinsichtlich der Druckschädigung an der linken Fußsohle gäbe die postoperative Lagerung des linken Beins auf einer Motorschiene Aufschluss. Laut Pflegedokumentation vom 1. Oktober habe die Patientin auf der Motorschiene geübt, das heißt sie sei unmittelbar postoperativ auf einer Motorschiene oder Volkmann-Schiene gelagert worden, wobei sowohl Volkmann-Schiene als auch Motorschiene Fußteile besäßen, die eine Spitzfußprophylaxe ermöglichen. Bei beiden Schienen gemeinsam sei die Möglichkeit, die Ferse frei zu lagern. Die Spitzfußprophylaxe sei jedoch nur dann effizient, wenn das obere Sprunggelenk in eine Rechtwinkelstellung gebracht werde, was wiederum nur durch Druck auf die Fußsohle erreicht werden könne. Aus Sicht des Sachverständigen sei die ungewöhnliche Lokalisation der Druckstelle am linken Fuß beziehungsweise der Fußsohle im Rahmen der Spitzfußprophylaxe zu erklären.

Hinsichtlich der postoperativen Überwachung seien in der Pflegedokumentation Taubheitsgefühle des rechten Beins auch am zweiten postoperativen Tag notiert. Vermutlich hätten auch solche des linken Beins vorgelegen, seien jedoch nicht vorgebracht worden, da sie für normal gehalten worden seien. Die Tatsache, dass am ersten postoperativen Tag der Urinkatheter habe gewechselt werden müssen, belege, dass erhebliche neurologische Ausfälle vorhanden gewesen sein müssten. Damit verbunden seien dann auch Sensibilitätsstörungen nicht nur im rechten, sondern auch im linken Bein zu erklären. In der Pflegedokumentation vom 2. Oktober sei das Dekubitusrisiko „als unwahrscheinlich“ notiert worden. Bereits am dritten Tag postoperativ, dem 3. Oktober, fände sich erstmalig der Hinweis auf eine Druckstelle des linken Fußes, am vierten Tag postoperativ in der ärztlichen Dokumentation auch das Vorliegen einer Druckstelle an der rechten Ferse.

Aus Sicht des Gutachters belege das, dass die Gefahr der Dekubitusentwicklung bei gestörter Sensorik infolge eines PDK unterschätzt worden sei. Geeignete Maßnahmen unmittelbar postoperativ durch Polsterung und Freilagern der Fersen seien unterblieben. Der Pflegeeintrag am 2. Oktober, dass das Dekubitusrisiko als unwahrscheinlich erachtet werde, sei als Ausdruck einer Fehleinschätzung zu bewerten.

In der Zusammenschau sei die Nachbehandlung nicht fehlerfrei, denn angesichts der anhaltenden Sensibilitätsstörungen der Beine wären spezielle Vorsichtsmaßnahmen bei der Lagerung notwendig gewesen. Bei korrekter Vorgehensweise wären keine Druckstellen zu erwarten gewesen. Durch die fehlerhafte postoperative Lagerung sei es zu Nekrosen und Druckgeschwüren gekommen, wobei nach Feststellung des Hausarztes die Krusten des Dekubitus erst am 4. Dezember abgefallen seien.

Stellungnahmen zum Gutachten

Zu dem Gutachten werden einzelne Ausführungen des Sachverständigen unter Darstellung des Behandlungsverlaufs aus Sicht des Klinikums bemängelt.

Von Seiten der Stationspflege des Klinikums wird angeführt, dass das rechte Bein kontinuierlich gelagert und die DMS (Schmerz, Motorik, Sensibilität) kontrolliert worden sei. Die Patientin habe kein Taubheitsgefühl im linken Bein angegeben. Der Blasenkatheter sei am 1. Oktober gewechselt worden, weil ein Druckgefühl in der Harnblase angegeben worden sei und der Katheter kaum Urin gefördert habe. Nach Wechsel des Urinkatheters hätten keine Abflussstörungen mehr bestanden. Am zweiten postoperativen Tag sei ein Verbandswechsel durchgeführt worden, Fuß und Bein seien bis dahin komplett gewickelt gewesen. An diesem Tag sei keine Druckstelle festgestellt worden (2. Oktober). Dieses Vorgehen sei standardisiert. Alle OP-Verbände würden am zweiten postoperativen Tag gewechselt werden, wenn keine Auffälligkeiten vorhanden wären.

Ärztlicherseits wird ergänzend ausgeführt, dass es nicht ungewöhnlich sei, dass Patienten auch ohne Schmerzkatheter postoperativ selbständig kein Wasser lassen könnten. Am 1. Oktober sei noch keine Druckstelle sichtbar gewesen. Die Einschätzung der Pfleger („Dekubitus unwahrscheinlich“) sei grundsätzlich nicht zu beanstanden. Ein Fehler in der postoperativen Versorgung werde nicht gesehen.

Entscheidung der Schlichtungsstelle

Hinsichtlich des Vortrags des Klinikums, dass das Bein komplett im OP gewickelt und der Verband am zweiten Tag entfernt worden sei, ist darauf hinzuweisen, dass dies einerseits bedeutet, dass am ersten Tag postoperativ eine Druckstelle bei noch liegendem Verband ärztlicherseits nicht auszuschließen war, andererseits jedoch auch eine Fotodokumentation am 1. Oktober, wie patientenseits angegeben, nicht möglich gewesen wäre, da der Verband erst am 2. Oktober angeblich standardmäßig entfernt wurde. Die Entstehung der Druckstellen müsste dann nach dieser Sachlage unzweifelhaft postoperativ verursacht worden sein.

Die Erklärung, dass alle OP-Verbände am zweiten postoperativen Tag standardmäßig gewechselt würden, wenn keine Auffälligkeiten bestünden, ist bei Gebrauch einer Schmerzpumpe und eines Periduralkatheters in sich widersprüchlich, da der Schmerz weitgehend durch den Katheter ausgeschaltet ist und Taubheit dokumentiert wird. Ein Beinwickelverband kann zusätzlich nur dann problematisch werden, wenn es zu Schwellungen der Weichteile im Verband kommt mit der Folge einer zusätzlichen Druckerhöhung der Weichgewebe und Durchblutungsstörungen.

Nach Lage der Akten ist davon auszugehen, dass Sensibilität und Motorik der Patientin aufgrund des bis zum 2. Oktober liegenden Periduralkatheters erheblich eingeschränkt waren. Durch die analgetische Wirkung des peridural verabreichten Lokalanästhetikums werden lokale Schmerzen nicht oder vermindert wahrgenommen. Dadurch kann das Risiko von Dekubitalulzera erhöht sein. Die sensorische und motorische Wirkung einer Periduralanästhesie erstreckt sich auf beide Körperhälften. Zwar führt die Sympathikusblockade bei der lumbalen Periduralanästhesie dazu, dass die Durchblutung der Beine verbessert wird. Wegen der eingeschränkten Sensorik und Motorik der Extremitäten müssen aber grundsätzlich geeignete Maßnahmen zur Dekubitusprophylaxe – insbesondere bei Patienten mit erhöhtem Risiko – ergriffen werden.

Als besonders gefährdete Regionen infolge hohen Drucks kamen im vorliegenden Fall die rechte Ferse und angesichts der Motorschienenbeübung die linke Fußsohle in Betracht. Vor diesem Hintergrund hätten von vorherein umfangreiche Vorsichtsmaßnahmen zur Lagerung ergriffen werden müssen, die geeignet gewesen wären, die eingetretenen Druckstellen zu verhindern. Bei fachgerechter Einschätzung des Dekubitusrisikos und entsprechender Prophylaxe wäre das Entstehen der Druckstellen vermieden worden.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass eine vermeidbare Fehleinschätzung des Dekubitalrisikos erfolgte und infolgedessen die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen zur Prophylaxe unterblieben.

Gesundheitsschaden

Bei korrektem Vorgehen wäre nach ärztlicher Erfahrung die Patientin am 7. Oktober ohne Hautschäden entlassen worden. Durch das fehlerhafte Vorgehen wurden über einen Zeitraum von circa drei Monaten zusätzliche Behandlungsmaßnahmen aufgrund vermeidbarer Druckgeschwüre an beiden Füßen erforderlich, verbunden mit einer eingeschränkten Mobilität und damit einhergehender vermehrter Beschwerden.

Fazit

Bei rückenmarksnaher Regionalanästhesie sind die sensorischen und motorischen Funktionen der unteren Extremitäten deutlich eingeschränkt, wodurch das Risiko von Dekubitalulcera erhöht ist. Dementsprechend müssen Vorsichtsmaßnahmen zur Lagerung ergriffen werden, die geeignet sind, Druckstellen – zum Beispiel im Bereich der Ferse oder der Fußsohle – zu verhindern.

 

Präventivmaßnahmen zur Dekubitusprophylaxe in der Klinik

1|   Bei Aufnahme Einschätzung und Dokumentation des Dekubitusrisikos

2|   Fortlaufende und nachvollziehbare Dokumentation der prophylaktischen Maßnahmen

3|   Dokumentation von Befundänderungen wie Sensibilitätsstörungen, Schmerz und Hautveränderungen

4|   Dokumentation individueller Behandlungsmaßnahmen und Kontrollen in festgelegten Zeitintervallen

Autoren:

Kerstin Kols, Ass. jur.

Dr. med. Klaus Seemann

Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie
Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover

Prof. Dr. Dr. med. T. Hachenberg

Facharzt für Anästhesiologie
Ärztliches Mitglied
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover