Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Versehentlich im Körper belassener Fremdkörper bei Operation

Foreign Object Inadvertently Left inside the Body During Surgery

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 02/2002

Kasuistik

Ein über 50 Jahren alter Patient wurde mit den Symptomen einer akuten Appendizitis stationär aufgenommen und unter dieser Diagnose dringlich operiert. Unter der Operation wurde ein solider Zökumtumor festgestellt. In der Annahme eines Zökumkarzinoms wurde nach Schnitterweiterung die rechtsseitige Hemikolektomie unter onkochirurgischen Kautelen ausgeführt, die Darmkontinuität wurde durch Seit-zu-Seit-Ileotransversostomie wieder hergestellt. Die histologische Untersuchung des Operationspräparates ergab einen stenosierenden, entzündlichen und somit operationspflichtigen Befund.

Nach der Operation entwickelte sich eine entzündliche Bauchsymptomatik. Am 5. postoperativen Tag wurde eine Re-Laparotomie durchgeführt. Hierbei wurde ein belassenes Bauchtuch vorgefunden und entfernt, das bei der vorangegangenen Operation versehentlich in der Bauchhöhle belassen worden war. Die Wundheilung verlief nach diesem Eingriff ungestört. Über Spätfolgen der genannten Komplikation ist nichts bekannt.

Der Patient ging in seiner Antragstellung davon aus, daß die Zurücklassen des Bauchtuches einen ärztlichen Fehler darstellt. Als Folge dieses Fehlers wurden angegeben: Schmerzen infolge der durch das Bauchtuch ausgelösten Entzündung, unnötige zweite Operation, verlängerte Behandlungsdauer.

Seitens des Haftpflichtversicherers des in Anspruch genommenen Krankenhauses wurde argumentiert, durch den unerwarteten intraoperativen Befund seien operationserschwerende Bedingungen eingetreten. Unter diesen Umständen wäre die Zurücklassung des Bauchtuches als unverschuldet zu beurteilen.

Nach der Rechtsprechung hängt es von den Besonderheiten des einzelnen Falls ab, ob den operierenden Ärzten ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, daß sie im Operationsgebiet einen Fremdkörper zurückgelassen haben. Gefordert wird, daß die Ärzte alle möglichen und zumutbaren Sicherungsvorkehrungen gegen ein solches Mißgeschick treffen müssen, wozu bei textilen Hilfsmitteln deren Kennzeichnung, eine Markierung, das Zählen der verwendeten Tupfer und dergleichen gehören können (OLG Koblenz VersR 99,1420).

Für den vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, daß die Ausweitung des Eingriffes in Form der Hemicolektomie rechts unter onkologischen Kriterien aufgrund des intraoperativen Befundes indiziert war, da mit dem Vorliegen eines Dickdarmkrebes gerechnet werden mußte.

Daß bei der Hemikolektomie versehentlich ein Bauchtuch in der Bauchhöhle zurückgelassen wurde, steht zwischen den Parteien nicht im Streit.

Entschuldbar ist ein solcher Fehler nur in Fällen, wo es akut zu einer Unübersichtlichkeit des Operationsfeldes kommt, z. B. durch eine lebensgefährliche Blutung, die die volle Aufmerksamkeit des Operateurs beansprucht und in denen weder aktuell noch bei Operationsabschluß eine sorgfältigere Revision des Operationsgebietes möglich ist. Ein solche Situation muß aus dem Operationsbericht klar und zweifelsfrei hervorgehen. In den meisten Fällen werden derartige Komplikationen während des Eingriffes beherrscht, so daß spätestens am Ende der operativen Maßnahmen die Möglichkeit einer sorgfältigen abschließenden Kontrolle des Operationsgebietes besteht.

Eine solche Situation lag in dem hier zu beurteilenden Fall nicht vor. Aus dem Operationsbericht war zu entnehmen, daß zu keiner Zeit eine zwangsläufig unübersichtliche Situation vorgelegen hat, die den Überblick erschwert und die abschließende Kontrolle des Operationsgebietes nicht zugelassen hätte. Der versehentliche Verlust des Tupfers konnte während der längerdauernden Operation durchaus unentdeckt bleiben.

Sollte der Irrtum durch falsche Zählung oder unstimmige Abpackung der Bauchtücher zustandegekommen sein, so läge ein organisatorischer Mangel vor, der gleichfalls zur Haftung führt.

Im vorliegenden Falle waren die patientenseitig erhobenen Schadenersatzansprüche begründet.

Fazit

Nach der Rechtsprechung stellen derartige Vorkommnisse grundsätzlich einen bei sorgfältigem Vorgehen vermeidbaren Fehler dar. Nur in seltenen Ausnahmesituationen, die von der Arztseite zu beweisen wären, führt dies nicht zur Haftung.

Im Einzelfall kann in der Außerachtlassung solcher gebotenen Maßnahmen sogar ein grober Behandlungsfehler liegen (BGH VersR 1981, 462).

Autoren:

HV

Prof. Dr. med. Heinrich Vinz

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover