Late Diagnosis of Colorectal Carcinoma by Failure to Conduct Colonoscopy despite Evidence of Fecal Occult Blood
Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 05/2007
Kasuistik
Der 57-jährige Patient war wegen Flimmerarrhythmie und Bluthochdruck berentet und wurde mit Verapamil und ASS therapiert. Auf Grund familiärer Tumorbelastung wurden vom Hausarzt wiederholt Tumormarkerbestimmungen und Stuhluntersuchungen auf okkultes Blut durchgeführt. Im Juli 2002 fielen zwei und bei der Kontrolle im August eine der Haemoccultproben positiv aus. Die Tumormarker CEA, CA 19-9 und CA 50 waren bis August 2002 negativ. Im Januar 2003 wurden seit vier Wochen bestehende Unterbauchschmerzen angegeben, dabei war der Palpationsbefund unauffällig. Eine Tumormarkerkontrolle im Februar 2003 ergab jetzt einen deutlichen Anstieg von CEA und CA 19-9. Die folgenden Arztkontakte bezogen sich auf die kardiale Problematik, bis der Patient im September 2003 auf einen Tastbefund im Unterbauch hinwies, den sein Hausarzt daraufhin als 5 bis 6 cm großen derben glattwandigen Tumor im Bereich des rechten unteren Abdomens palpierte und als Chondrom der Bauchwand interpretierte. Bei unverändertem Tastbefund 3 Monate später veranlasste der Hausarzt ein abdominelles CT, bei dem sich ein großer ileozökaler Konglomerattumor darstellte, der am ehesten als entzündlich angesehen wurde, ohne dass allerdings Malignität auszuschließen sei.
Nach hausärztlicher Einweisung in eine Chirurgische Klinik wurde durch Hemikolektomie rechts der Tumor entfernt, der sich histologisch als mittelgradig differenziertes Adenokarzinom der Dickdarmschleimhaut im Stadium PT3,N0 (0 von 19) G2, R0 darstellte.
Der Patient wirft seinem Hausarzt vor, er habe trotz Kenntnis der Familienanamnese – die Mutter verstarb an Darmkrebs – den regelmäßigen Patientenwunsch nach Vorsorgeuntersuchungen, insbesondere Darmspiegelungen, abgelehnt mit Hinweis auf die unauffälligen Tumormarker. Selbst bei positiven Haemocculttests habe er keine weiteren Untersuchungsmaßnahmen veranlasst. Angesichts seines Alters und der familiären Anamnese sei für ihn die ärztliche Betreuung im Hinblick auf Vorsorge bzw. Diagnostik nicht sorgfaltsgerecht gewesen. Auf Grund der Größe des Tumors liege es für ihn auf der Hand, dass der Tumor bei entsprechenden Untersuchungen, beispielsweise einer Darmspiegelung, sehr viel früher und in einem deutlich weniger fortgeschrittenen Stadium hätte festgestellt und behandelt werden können mit günstigerer Prognose.
Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter stellt dazu fest, dass eine Tumormarkerbestimmung nicht als Screeninguntersuchung auf kolorektale Karzinome geeignet sei, da bei Darmerkrankungen, Entzündung von Bauchspeicheldrüse und Leber und auch bei Rauchern unspezifische Erhöhungen beobachtet würden. Zum Hinweis des Hausarztes auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen ASS-Therapie und positiven Haemoculttests führt der Gutachter aus, drei große randomisierte Studien hätten nachgewiesen, dass durch Anwendung des Tests eine durchschnittliche Senkung der Karzinommortalität um 23 % erreicht würde. Auch bei nur einem positiven Testergebnis auf okkultes Blut sei eine komplette endoskopische Darstellung des Dickdarms erforderlich. Somit hätte erst recht nach mehreren positiven Testergebnissen umgehend eine Dickdarmspiegelung eingeleitet werden müssen. So hätte der Tumor bereits im Juli 2002 endoskopisch diagnostiziert werden können. Trotz vierwöchiger Unterbauchschmerzen im Januar 2003 und Palpation eines Tumors im September 2003 habe der Hausarzt immer noch nicht mit der indizierten koloskopischen Diagnostik begonnen.
Zwar wäre auch bei zeitgerechter Tumordiagnose im Juli 2002 eine endoskopische Abtragung nicht mehr möglich gewesen, jedoch ein geringerer abdomineller Eingriff in Form einer Zökalpolresektion.
In seiner Stellungnahme zum Gutachten argumentierte der Hausarzt, dass der Gutachter die besondere Situation einer Hausarztpraxis nicht hinreichend einschätzen würde und das Postulat, bei positivem Haemocculttest zu koloskopieren, 2002 noch nicht bestanden habe. Die Tumormarker- und Haemoccultuntersuchungen seien im wesentlichen durch den Patienten veranlaßt worden. Bei der fraglichen Signifikanz positiver Haemocculttests unter ASS-Medikation, habe er in Anbetracht der labilen kardialen Situation des Patienten eine Koloskopie als sehr risikobehaftet angesehen.
Die Schlichtungsstelle hat sich der Beurteilung des Gutachters angeschlossen.
In den Leitlinien zur Prophylaxe und Früherkennung des kolorektalen Karzinoms von 1997 heißt es zusammengefasst: Um die Morbidität und Mortalität des kolorektalen Karzinoms zu vermindern, sei die Stuhltestung auf okkultes Blut 1977 in den Katalog der gesetzlichen Früherkennungsmaßnahmen aufgenommen worden. Durch Störfaktoren könne der Test falsch positiv oder falsch negativ ausfallen. Ein positives Testergebnis liege vor, wenn mindestens eins der sechs Testfelder einen blauen Farbumschlag aufweist. Ein positives Testergebnis bedinge die weitere diagnostische Abklärung mittels Koloskopie.
Das besagt, dass mehrfach positive Haemocculttests bei einem Patienten mit einer familiären Kolonkarzinombelastung eine zwingende Indikation zur unverzüglichen koloskopischen Diagnostik darstellen, unabhängig davon, ob Störfaktoren für den Stuhltest vorliegen. Dieses Postulat ist bereits seit 1997 gültig und war damit im Jahre 2002 als Standard medizinischen Fachwissens anzusehen.
Es ist davon auszugehen, daß bei Vorliegen der positiven Stuhltests eine sofortige Koloskopie zur Diagnose des Karzinoms geführt hätte. Allerdings ist sehr unwahrscheinlich, daß zu diesem Zeitpunkt eine endoskopische Abtragung oder eine Zökalpolresektion ausgereicht hätten, eine Tumorentfernung mit hinreichendem Sicherheitsabstand zu gewährleisten. Die Operation hätte daher in gleichem Umfang erfolgen müssen. Eine adjuvante Chemotherapie war auf Grund der Tumorhistologie und des Tumorstadiums nicht erforderlich. Die Nachsorgeergebnisse sprechen dafür, daß der Tumor durch den operativen Eingriff beseitigt wurde. Eine prognostische Verschlechterung ist somit durch die Diagnoseverzögerung nicht eingetreten.
Dem Hausarzt sind jedoch die in der Zeit von Juli 2002 bis zur Tumorresektion im November 2003 vom Patienten erlittenen Tumorbeschwerden sowie eine vermehrte psychische Belastung durch das Wissen um die verspätete Karzinomdiagnose als fehlerbedingte Gesundheitsbeeinträchtigung anzulasten.