Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 8/2015
Kasuistik
Anfang Mai suchte ein Patient seinen Hausarzt auf, da er schlechter hörte. Der Hausarzt stellte obturierende Ohrschmalzpfröpfe in beiden Gehörgängen fest. Er ordnete eine Ohrspülung an, die von einer Arzthelferin durchgeführt wurde. Wegen Beschwerden im Bereich des rechten Ohres suchte der Patient am folgenden Tag einen Hals-Nasen-Ohrenarzt (HNO) auf. Dieser diagnostizierte einen frischen zentralen Trommelfelldefekt rechts und führte eine Trommelfellschienung durch. Das Tonschwellenaudiogramm vom darauffolgenden Tag zeigte beidseits eine kombinierte Schallleitungs-/ Schallempfindungsschwerhörigkeit, die auf der rechten Seite deutlich ausgeprägter war als links. Bei Nachuntersuchungen vom 10. und 17. Mai zeigte sich die Trommelfellschienung an richtiger Stelle liegend. Spätere Untersuchungen ergaben einen spontanen Verschluss der Perforation.
Der Patient schließt aus der Tatsache der Trommelfellverletzung auf eine fehlerhaft durchgeführte Ohrspülung. Die Ohrspülung sei von einer Arzthelferin durchgeführt worden. Zuvor habe der Hausarzt selbst die Diagnose „Cerumen obturans beidseits“ gestellt und die Ohrspülung angeordnet. Diese sei sach- und fachgerecht durchgeführt worden. Das Hörvermögen habe sich gebessert. Nach der Spülung habe der Patient weder Schwindel noch andere Beschwerden oder Schmerzen angegeben. Nach der lege artis durchgeführten Spülung sei der Patient beschwerdefrei gewesen. Der Hausarzt ist der Ansicht, dass in seiner Praxis keine Trommelfellverletzung verursacht worden sei.
Bewertung der Haftungsfrage
Die Schlichtungsstelle sieht ein fehlerhaftes ärztliches Verhalten durch den erstbehandelnden Arzt darin, dass vor der Ohrspülung keine ausreichende Anamnese erhoben wurde bezüglich der Ohrerkrankungen und in dem Unterlassen einer ärztlichen Untersuchung nach der Ohrspülung durch nichtärztliches Personal. Denn mit Hilfe welcher diagnostischen Maßnahme diese Diagnose gestellt wurde, lässt sich aus den vorliegenden Akten nicht erschließen. Ebenfalls ist aus den Unterlagen nicht ersichtlich, ob anamnestisch nach Ohrerkrankungen oder Ohrverletzungen und nach Ohroperationen gefragt wurde und ob auf mögliche Komplikationen einer Ohrspülung hingewiesen wurde. Die Spülung selbst erfolgte nicht durch den behandelnden Arzt, sondern durch eine Arzthelferin. Nach der Spülung erfolgte auch keine ärztliche Untersuchung zur Kontrolle der Gehörgänge und der Trommelfelle.
Bei der Untersuchung durch den HNO-Arzt am folgenden Tage wurde eine frische Trommelfellperforation mit kombinierter Schallleitungs-/ Schallempfindungsschwerhörigkeit festgestellt. Dieser führte dann eine Schienung der frischen Trommelfellperforation durch. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Trommelfellverletzung in der Praxis des erstbehandelnden Arztes verursacht wurde, zumal dieser nach der Spülung keine Untersuchung vorgenommen hat und somit eine Perforation weder feststellen, noch ausschließen konnte. Die Vorbereitung vor der Spülung, die Durchführung der Spülung und die Behandlung nach der Spülung waren somit nicht fachgerecht. Bei einer Ohrspülung hat eine Untersuchung des Ohres mit mindestens einem Otoskop, besser Mikroskop, vorauszugehen, die nach der Spülung zu wiederholen ist. Auch die fehlende ärztliche Kontrolle ist als fehlerhaft zu bewerten. Bei nicht bekannter Anamnese und unklarem Trommelfellbefund ist das Cerumen nicht durch Spülung, sondern instrumentell oder durch Absaugen unter Sicht mit Otoskop oder Mikroskop zu entfernen. Es kommt daher vorliegend nicht darauf an, ob die Ohrspülung selbst nach allgemeinmedizinischen Standards durch nichtärztliches Personal durchgeführt werden kann. Denn hier hat fehlerhaft keine ärztliche Anamneseerhebung, keine Voruntersuchung mittels Otoskop und keine ärztliche Nachuntersuchung stattgefunden.
Entscheidung der Schlichtungsstelle
Die am nächsten Tag durch den HNO-Arzt diagnostizierte frische Trommelfellperforation ist aufgrund des zeitlichen Zusammenhanges und der nicht fachgerechten Durchführung der Ohrspülung als deren Folge nicht in Zweifel zu ziehen. Es handelt sich um einen fehlerbedingten Gesundheitsschaden, der in erlittenen Schmerzen und der Notwendigkeit weiterer Arztbesuche und kleinerem, operativen Eingriff am Folgetage besteht. Aus den vorliegenden Krankenunterlagen über die nachfolgenden Krankenhausaufenthalte ergibt sich jedoch kein dauerhafter Hörschaden.
Fazit
Keine Ohrspülung bei unbekanntem Trommelfellbefund und unklarer Ohranamnese! Ohruntersuchung mittels Otoskop oder Mikroskop vor und nach der Ohrreinigung, insbesondere dann, wenn die Leistung an nichtärztliches Personal delegiert wird.