Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Verzögerte Diagnose einer Malaria tropica

Delayed Diagnosis of Malaria

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 06/2005

Kasuistik

Ein 22-jähriger Mann stellte sich 9 Tage nach der Rückkehr aus einem Urlaubsaufenthalt auf Madagaskar bei seinem Hausarzt vor mit Fieber, Inappetenz und allgemeinem Unwohlsein. Der Patient wies den Arzt sogleich auf die Möglichkeit einer Malariaerkrankung hin. Er habe bereits früher eine Malariainfektion durchgemacht. Die Malariaprophylaxe für seinen jetzigen Urlaubsaufenthalt habe er nicht konsequent durchgeführt. Der Arzt ging von einer nicht näher definierten respiratorischen Infektionskrankheit aus und verordnete Doxycyclin und Ambroxol. Für den folgenden Tag wurde der Patient zur Blutentnahme wiederbestellt, die auch durchgeführt wurde. In Anbetracht einer möglichen Malariainfektion wurde – ausdrücklich auf Wunsch des Patienten – eine serologische Untersuchung auf Malariaantikörper durchgeführt. Die Anfertigung eines Blutausstriches oder die Abnahme einer entsprechenden Blutprobe zum direkten Plasmodiennachweis oder die Überweisung an eine entsprechend qualifizierte Institution erfolgte nicht. Die Plasmodien-Serologie ergab einen erhöhten IgG-IFT-Titer von 1 : 1280. Das Ergebnis der Laboruntersuchungen wurde mit dem Patienten an diesem Tage nicht mehr besprochen.

Wegen anhaltenden Fiebers wandte sich die Mutter des Patienten am Nachmittag des gleichen Tages telefonisch an den Arzt. Dieser empfahl die Vorstellung im benachbarten Kreiskrankenhaus, da dort ein Wochenenddienst mit Laborbereitschaft bestehe. Der Patient wandte sich jedoch einen Tag später unmittelbar an eine Klinik für Tropenmedizin. Hier wurde eine Malaria tropica festgestellt und über einen Zeitraum von 7 Tagen mit Mefloquin stationär behandelt. Im Entlassungsbericht wurde darauf hingewiesen, daß noch einmal eine Malariaausschlußdiagnostik wiederholt werden müsse, um ein Therapieversagen nicht zu übersehen.

Der Patient warf seinem Hausarzt vor, trotz des nachdrücklichen Hinweises auf die Möglichkeit einer akuten Malariaerkrankung die erforderlichen diagnostischen Maßnahmen nicht mit der gebotenen Eile durchgeführt und hierdurch seine Gesundheit und sein Leben aufs Spiel gesetzt zu haben.

Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter gab zunächst literaturbezogen Erläuterungen zur Epidemiologie und zur Symptomatologie der verschiedenen Malariainfektionen sowie insbesondere zu deren Diagnostik.

Zusammenfassend sah er in den vom in Anspruch genommenen Arzt durchgeführten Maßnahmen kein fehlerhaftes Verhalten. Der Arzt habe wegen der ausbleibenden Besserung am 2. Behandlungstag die Aufnahme in einem Krankenhaus vorgeschlagen. Dem sei der Patient nicht nachgekommen, statt dessen sei er erst einen Tag später in einer tropenmedizinischen Klinik aufgenommen worden. Die Verzögerung des Einsatzes spezifischer Therapiemaßnahmen könne dem Arzt nicht vorgeworfen werden. Auch sei zu bedenken, daß der Patient selbst durch die mangelhafte Durchführung der Malariaprophylaxe zum Auftreten und zur verzögerten Diagnostik der Malaria beigetragen habe.

Die Schlichtungsstelle konnte sich dieser Wertung des Gutachters nicht anschließen.

In dem auch vom Gutachter zitierten Lehrbuch „Rationelle Diagnostik und Therapie in der Inneren Medizin“, Urban & Fischer Verlag, München, wird dazu u.a. auch ausgeführt:
„Die Malaria tropica ist bei Nichtimmunen ein medizinischer Notfall und erfordert stationäre Krankenhauseinweisung. Die Diagnostik muß so rasch wie möglich abgeschlossen werden, um mit einer spezifischen antiparasitären Therapie zu beginnen“.

Und an anderer Stelle:
„Die Diagnose einer Malaria erfolgt im gefärbten, dicken oder dünnen Blutausstrich durch Nachweis der Plasmodien. Der „dicke Tropfen“ ist eine Anreicherungsmethode mit einer 6-10fach höheren Empfindlichkeit im Vergleich zum üblichen gefärbten Blutausstrich. Dicker Tropfen und Ausstrich sollten deshalb bei Verdacht unverzüglich angefertigt und auch wiederholt werden. Findet der Ungeübte bereits nach wenigen Minuten Plasmodien, so deutet dies auf eine lebensgefährliche Parasitendichte hin. Rasche Kontaktaufnahme mit einem in der Behandlung der Malaria erfahrenen Zentrum ist dringend erforderlich. Hervorzuheben ist die Notwendigkeit einer wiederholten Untersuchung auf Plasmodien. Die Beurteilung der Ausstriche und der Differenzierung nach Plasmodienarten erfordern Erfahrung, die meist nur bei spezialisierten Ärzten und Institutionen vorhanden ist. Die sofortige Eileinsendung von getrockneten, unfixierten und ungefärbten dicken Tropfen und dünnen Ausstrichen ist dringend anzuraten. Beigefügt werden sollte EDTA-Blut zur Anfertigung zusätzlicher Ausstriche. Der Nachweis plasmodienspezifischer Antikörper ist für den Akutfall nicht erforderlich.“

Unter Würdigung dieser klaren und eindeutigen Diagnostik- und Therapieanweisungen konnte die Schlichtungsstelle die Maßnahmen des Arztes nicht als sach- und fachgerecht ansehen. Schon beim ersten Kontakt bestand die zwingende Indikation zu den genannten diagnostischen Maßnahmen und entsprechend zur Einleitung der Therapie. Da bei dem Arzt die Voraussetzungen hierzu nicht gegeben waren, hätte er sicherstellen müssen, daß der Patient umgehend in eine entsprechend qualifizierte Institution gelangte. Schon die Verordnung der Blutentnahme erst für den folgenden Tag war als fehlerhaft zu bewerten. Hinzu kommt, daß er dann noch eine Malariauntersuchung vornahm, nämlich die Antikörperbestimmung, die für den Akutfall nicht geeignet ist, wohingegen er die Untersuchung im dicken Tropfen, die beim Verdachtsfall unverzüglich angefertigt und auch wiederholt werden muß, nicht durchführte oder veranlaßte. Als bei Befundverschlechterung am nächsten Tag der ohnehin nach der Literatur bestehende Notfall sich verschlimmert hatte, hätte er nicht nur eine Krankenhausaufnahme vorschlagen, sondern sicherstellen müssen, daß dort eine qualifizierte Malariadiagnostik und –therapie erfolgen könnte. Erst am 3. Tage nach dem ersten Arzt-Patienten-Kontakt und dem entsprechenden Malariaverdacht erfolgte auf Initiative des Patienten selbst in einer Klinik für Tropenmedizin die qualifizierte Diagnostik- und Therapieeinleitung.

Die Schlichtungsstelle sah in der 3-tägigen Verzögerung des Therapiebeginns und der damit verbundenen Verschlimmerung der Beschwerden die Folgen eines ärztlichen Diagnose- bzw. Behandlungsfehlers. Hierdurch war ein Anspruch auf Schmerzensgeld begründet. Spätfolgen können aus der fehlerbedingt verzögerten Therapie nicht abgeleitet werden.

Autoren:

HP

Dr. med. Herbert Pröpper

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover