Delayed Diagnosis of Malignant Melanoma of the Sole of the Foot
Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 09/2003
Kasuistik
Eine 64-jährige Patientin begab sich Mitte Mai 1998 wegen eines Befundes an der rechten Fußsohle in Behandlung eines niedergelassenen Dermatologen. Der Arzt diagnostizierte eine Warze. Nach erfolgloser Behandlung mit keratolytischen Salben wurden am 06.06. und am 19.06.1998 je eine Farbstofflasertherapie und eine Behandlung mit dem „Photoderm“ durchgeführt. Am 25.06.1998 wurde die dermatologische Behandlung zunächst beendet, ohne daß der Befund an der Fußsohle abgeheilt war. Erst neun Monate später, im März des folgenden Jahres, konsultierte die Patientin erneut ihren Hautarzt, da die Wunde an der Fußsohle in der Zwischenzeit größer geworden war und Beschwerden beim Laufen verursachte. Es erfolgte zunächst wiederum lokale Behandlung durch den Hautarzt. Im Mai 1999 überwies er die Patientin in die Hautklinik eines großen Klinikums. Dort wurde durch Probeexzision ein malignes, amelanotisches Melanom festgestellt. Der Tumor wurde radikal exzidiert, der Hautdefekt nach Überstehen einer Wundinfektion durch Spalthaut gedeckt. Die Patientin verblieb in der Tumornachsorge der Klinik.
Die Patientin erhebt folgende Vorwürfe gegen den sie behandelnden Hautarzt: Die Behandlung des Befundes an der Fußsohle sei unter der falschen Diagnose einer Warze erfolgt. Die Lasertherapie sei erfolglos gewesen. Die fortbestehende Wunde an der Fußsohle habe zu Beschwerden und Behinderungen geführt. Durch die verzögerte Behandlung der bösartigen Geschwulst seien die Heilungsaussichten verschlechtert worden.
Der in Anspruch genommene Arzt nahm zu diesen Vorwürfen Stellung. Im Mai 1998 habe klinisch kein Verdacht auf einen malignen Prozeß bestanden. Dieser habe sich vermutlich erst im späteren Verlauf entwickelt. Ein Zusammenhang der Tumorentstehung mit der vorangegangenen Laser- oder Photodermbehandlung sei abzulehnen.
Der von der Schlichtungsstelle beauftragte dermatologische Gutachter kommt nach Auswertung der Behandlungsdokumentation und nach Erörterung des Behandlungsverlaufes zu folgenden Wertungen:
- In den Behandlungsunterlagen des in Anspruch genommenen Arztes findet sich zu keinem Zeitpunkt eine Beschreibung des Befundes an der rechten Fußsohle (Dokumentationsmangel).
- Bereits zu Behandlungsbeginn im Mai 1998 hätte ein maligner Prozeß in Erwägung gezogen und durch histologische Untersuchung einer Probeexzision bestätigt bzw. ausgeschlossen werden müssen. Die Unterlassung der histologischen Abklärung sei als fehlerhaft zu werten.
- Die Hinauszögerung der Diagnose von Juni 1998 bis März 1999 sei der Patientin zuzuschreiben, da sie den weiter schwelenden Prozeß nicht wieder ärztlich beurteilen und behandeln ließ.
- Die Prognose der Tumorerkrankung habe sich durch die verzögerte Therapie statistisch verschlechtert.
- Die Farblaser- und Photoderm-Therapie waren nicht indiziert. Auch stellen diese Verfahren bisher keine wissenschaftlich begründete Therapieform dar.
Die Patientin widersprach entschieden der Feststellung des Gutachters, daß sie sich die Verzögerung der Diagnose selbst zuzuschreiben habe. Sie habe im Vertrauen auf die Aussage ihres Hautarztes, daß es sich um eine harmlose Warze handelt, den Befund mit dem von ihrem Arzt empfohlenen Salben selbst weiterbehandelt. Ein Termin für eine Kontrolluntersuchung sei ihr nicht mitgegeben worden. Sie habe mit einer soweit wie möglich behandelten harmlosen Warze, wenn auch vorerst noch schmerzhaft und ärgerlich weitergelebt. Auf Dauer würde der Prozeß schon abheilen.
Der Verfahrensbevollmächtigte des in Anspruch genommenen Hautarztes äußerte sich wie folgt zum Gutachten
Es sei patientenseitig zu beweisen, daß im Mai 1998 bereits ein maligner Prozeß bestanden hätte. Die Forderung von häufigen Probeexzisionen bei älteren Patienten sei unangemessen.
Die Schlichtungsstelle kam nach Durchsicht der Behandlungsunterlagen und des Schriftverkehrs zu folgenden Wertungen:
- In Übereinstimmung mit der Beurteilung durch den Gutachter ist von einem vermeidbaren Diagnosefehler auszugehen: Die im Mai/Juni 1998 unterlassene Abklärung der Diagnose vor Ausführung einer Therapie war vermeidbar fehlerhaft. Die Fehlerhaftigkeit ergibt sich zum einen aus den im Gutachten vorgetragenen differential-diagnostischen Erwägungen, die der Hautarzt offensichtlich nicht angestellt hat. Erschwerend kommt hinzu, daß bezüglich der Befundbeschreibung ein klarer und juristisch relevanter Dokumentationsmangel vorliegt.
- Im Gegensatz zur Aussage des Gutachters geht die Schlichtungsstelle von einer arztseitig verschuldeten Verzögerung der Diagnose von 11 Monaten (Juni 1998 bis Mai 1999) aus. In der Begründung wird ausdrücklich der Darstellung der Patientin gefolgt: Sie konnte nach Entlassung aus der Behandlung des Hautarztes davon ausgehen, daß es sich tatsächlich um einen harmlosen Restbefund einer Warzenentfernung handelte. Da der Hautbefund sich nur sehr langsam vergrößerte und durch „Selbstbehandlung“, d. h. Verbandswechsel, zu beherrschen war, bestand für die Patientin keine Veranlassung, vor März 1999 einen Arzt erneut um Rat zu fragen. Von März bis Mai 1999 wurde die Diagnostik unter Aufsicht des in Anspruch genommenen Hautarztes weiter hinausgezögert.
Als Folgen der fehlerbedingten Verzögerung der Diagnose des Melanoms sind festzustellen:
- zwei unnötige Laser- bzw. Photodermbehandlungen
- Beschwerden und Behinderungen durch den weiter schwelenden Prozeß an der rechten Fußsohle, insbesondere beim Laufen
- psychische Auswirkungen: Die Patientin wurde durch Furcht, daß sich durch die um fast ein Jahr verschleppte Krebsdiagnose die Heilungschancen des Tumorleidens verschlechtert haben, erheblich psychisch belastet.
Die Prognose des Tumorleidens hat sich durch die Verschleppung der Diagnose statistisch verschlechtert. Da ein malignes Melanom jedoch zu jeder Zeit, auch schon frühzeitig, metastasieren kann, ließe sich für den hier zu beurteilenden, individuellen Fall nicht beweisen, daß im Falle einer fortschreitenden Tumorerkrankung diese auf die Verzögerung von Diagnostik und Therapie des Melanoms zurückzuführen wäre.
Die Schlichtungsstelle hielt Schadenersatzansprüche in dem oben dargestellten Rahmen für begründet und empfahl eine außergerichtliche Regulierung.