Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Verzögerte Diagnostik einer mit kurativer Zielsetzung zu behandelnden Lebermetastase eines Mammakarzinoms

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 02/2003

Kasuistik

Bei einer zwei Jahre zuvor an Brustkrebs operierten Frau wurde im Rahmen der regelmäßig durchgeführten Tumornachsorge sonographisch eine echoarme Läsion im rechten Leberlappen festgestellt. Die Tumormarker waren zu diesem Zeitpunkt bereits erhöht. Die kurzfristig angeschlossene Computertomographie ergab einen 3,5 cm großen Herd in den Segmenten 6 und 7 des rechten Leberlappens, der dem Kontrastmittelverhalten nach zunächst für ein Leberhämangiom sprach. Die nachfolgend durchgeführte Blutpool-Szintigraphie bestätigte diese Verdachtsdiagnose jedoch nicht, so daß in erster Linie eine Karzinommetastase in Frage kam. Folgerichtig wurde daher kurzfristig eine CT-gestützte Nadelbiopsie des verdächtigen Herdes durchgeführt. Dabei wurde ein 1,5 cm langer Punktionszylinder entnommen. Die histologische Aufarbeitung ergab Leberparenchym mit großtropfiger Verfettung und Fibrosierung, kein Tumorgewebe. Wegen der erhöhten Tumormarker wurde eine Kontrolle des Leberbefundes in drei Monaten empfohlen.

Vier Monate später wurde sonographisch und mittels CT eine Vergrößerung des Leberherdes auf 6,5 x 8,4 cm festgestellt. Die Tumormarker waren inzwischen weiter angestiegen. Der Herd reichte nunmehr an die Wand der unteren Hohlvene heran. Eine erneute perkutane Punktionsbiopsie brachte jetzt den Nachweis einer Karzinommetastase (gering differenziertes, teils solides, teils trabukuläres, teils adenoides Karzinom). Weitere Leberherde oder Metastasen in anderen Körperregionen wurden nicht nachgewiesen. Daraufhin erfolgte eine erweiterte rechtsseitige Hemihepatektomie mit Resektion eines Teiles der Wand der unteren Hohlvene. Der Eingriff wurde komplikationslos überstanden. Aufgrund der allgemeinen Folgen des ausgedehnten Eingriffes wurde die Patientin berufsunfähig.

In ihrem Antrag an die Schlichtungsstelle führt die Patientin aus, daß ihrer Meinung nach anläßlich der ersten Punktion am betreffenden Leberherd vorbeigestochen worden sei. Dadurch sei es zu einer Fehldiagnose gekommen, ohne die die Leberoperation vier bis fünf Monate früher hätte erfolgen können und somit einen leichteren Verlauf gehabt hätte. Eine Teilentfernung der unteren Hohlvene hätte aufgrund des noch ausreichenden Abstandes zur Metastase hin vermieden werden können. Aufgrund der entstandenen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen macht die Patientin Schadenersatzansprüche gegen die Klinik geltend, in der die primäre Punktion des Leberherdes ausgeführt wurde.

Die in Anspruch genommene radiologische Klinik wurde zu einer Stellungnahme aufgefordert: Die Punktion sei von einer in radiologischen Interventionen erfahrenen Oberärztin durchgeführt worden. Es sei üblich, dabei auf das randnahe Drittel der Läsion zu zielen, um möglichst die häufig zentralen nekrotischen Bezirke nicht zu biopsieren. Auf den während der Punktion angefertigten CT-Schnitten sei eine korrekte Nadellage dokumentiert worden. In 6 – 10 % der Biopsien werde dennoch kein für die Tumordiagnostik repräsentatives Gewebe gewonnen. Im Präparat seien keine Tumoranteile nachgewiesen worden.

Der beanstandete Sachverhalt wurde sowohl in einem radiologischen als auch in einem visceralchirurgischen Gutachten beurteilt. Beide Gutachter kamen übereinstimmend zu folgenden Wertungen: Es hätte bereits zwingend von einem malignen Leberherd ausgegangen werden müssen. Die Wahrscheinlichkeit, daß es sich bei dem Herd um einen gutartigen Prozeß gehandelt hätte, sei mit unter 10 % einzuschätzen gewesen. Die seinerzeit durchgeführte Leberpunktion habe nachweislich den Herd verfehlt. Von einer Fehlpunktion hätte man nach Erhalt des negativen histologischen Ergebnisses ausgehen und unverzüglich eine erneute Punktion anschließen müssen. Als Indizien für eine Fehlpunktion waren anzunehmen:

  • Ein kurzer Punktionszylinder. Dieser war mit einer Länge von 1,5 cm kürzer als der Abstand von ca. 2 cm zwischen Nadelspitze und Leberherd.
  • Die Tatsache, daß das Punktat nur Leberparenchym enthielt. Bei den bildgebenden Kriterien des Herdes hätte in jedem Falle andersartiges Gewebe vorliegen müssen.

Die Unterlassung der sofortigen Wiederholung der Leberbiopsie nach Erhalt des negativen Ergebnisses der Erstbiopsie wurde von beiden Gutachtern als vermeidbarer Fehler bewertet.

Die Schlichtungsstelle schloß sich dem Ergebnis der gutachterlichen Beurteilung an. Der metastasenverdächtige Leberbefund hätte nach der fehlgeschlagenen Erstpunktion zwingend und unverzüglich weiter abgeklärt werden müssen. Dies wurde fehlerhaft unterlassen mit der Folge, daß die erforderliche Operation um 3 ½ Monate hinausgezögert wurde, und daß der vorgesehene Eingriff der Entfernung der rechten Leberhälfte (Hemihepatektomie) um die Resektion eines Teiles der Wand der unteren Hohlvene (Vena cava) erweitert werden mußte. Die Operationserweiterung hatte zwar keine wesentliche zusätzliche Opferung von Lebergewebe zur Folge, die Tumorresektion konnte jedoch nicht mehr im vorgeschriebenen Sicherheitsabstand erfolgen, so daß die Gefahr, Tumorgewebe zu belassen (R1-Resektion) größer war, als für den Fall, daß die Hemihepatektomie 3 ½ Monate früher erfolgte wäre (R0-Resektion). Auch wurde durch die Erweiterung des Eingriffes das Operationsrisiko erhöht, dieses zusätzliche Risiko hat sich jedoch nicht verwirklicht.

Zur Bemessung der aus dem diagnostischen Behandlungsfehler resultierenden Schadenersatzansprüche ist festzustellen:

  • Die um die Resektion der Hohlvenenwand erweiterte Hemihepatektomie rechts hatte bezüglich der Leberfunktion keine erkennbaren zusätzlichen Folgen. Die Hemihepatektomie stellt an sich schon einen Maximaleingriff hinsichtlich der Einschränkung der Funktionsreserven des Lebergewebes mit entsprechenden Folgen für die körperliche Leistungsfähigkeit dar. Dieser Zustand wäre in jedem Falle eingetreten, also auch bei Ausführung der Hemihepatektomie 3 ½ Monate früher. Die von der Patientin beklagten Einschränkungen im privaten und beruflichen Bereich (Berufsaufgabe) können daher nicht auf die fehlerbedingte Operationsausweitung zurückgeführt werden.
  • Mit der Eröffnung, daß die Tumordiagnose (Lebermetastase) fehlerhaft um 3 ½ Monate verzögert wurde und daß sich dadurch die Prognose des Tumorleiden bezüglich einer Dauerheilung statistisch verschlechtert hat, erlitt die Patientin ohne Zweifel ein schweres und anhaltendes psychisches Trauma. Aus dieser psychischen Belastung ergibt sich ein Schadenersatzanspruch in Form eines angemessenen Schmerzensgeldes.
  • Sollte in Zukunft ein erneutes Tumorwachstum nachgewiesen werden, so kann dies allerdings nicht mehr als Folge des Behandlungsfehlers angesehen werden. Es wäre – unabhängig davon, an welcher Körperstelle das erneute Tumorwachstum vorliegt – medizinisch wissenschaftlich nicht beweisbar und im Hinblick auf die Tumorbiologie des Mammakarzinoms auch eher unwahrscheinlich, daß eine Spätmetastasierung eindeutig auf belassenes Tumorgewebe bei der Hemihepatektomie zurückgeht.

Die Schlichtungsstelle hielt Schadenersatzansprüche in dem dargestellten Rahmen für begründet und empfahl eine entsprechende außergerichtliche Regulierung.

Autoren:

PH

Prof. Dr. med. Ph. Hendrickx

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover