Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 04/2004
Einleitung
Ungenügend geprüfte oder leichtfertig hingeworfene Zusammenhangsvermutungen sind häufig die Ursache langdauernder Verunsicherungen der Patienten. Die Betroffenen machen sich über Auskünfte, die in der Eile gegeben werden, oft schlafraubende Gedanken. Das Vertrauensverhältnis zu den bisher behandelnden Ärzten kann dadurch so nachhaltig gestört werden, daß die Patienten diese Ärzte nicht mehr aufsuchen. Dabei steht so manche medizinische Vermutung auf unsicheren Beinen.
Kasuistik
Ein 75-jähriger Mann klagte über typische Einlaufbeschwerden im Kreuz. Es wurde eine Spondyl- arthrose der Lendenwirbelsäule diagnostiziert. Als Therapie wurden im Verlauf von zwei Monaten 3 paravertebrale Injektionen mit Xylonest und Triamcinolon mit gutem Erfolg verabreicht.
Anläßlich eines Krankenhausaufenthaltes wegen eines Leistenbruches etwa 8 Wochen nach der ersten Kreuzschmerzinjektion zeigten sich im Laufe des stationären Aufenthaltes bei Laborwertkontrollen Entzündungszeichen. Es wurde aber vom Patienten nicht über Schmerzen geklagt. In den folgenden Tagen stellte sich ein Abszeß paravertebral lumbal, der von den Ärzten im Krankenhaus eröffnet wurde. Es wurde eine Erregerbestimmung durchgeführt, Staphylococcus aureus gefunden und gezielt antibiotisch behandelt.
Aus der Vorgeschichte des Patienten ist eine chronische mesotympanale Otitis media rechts bekannt. Diese wurde 6 Monate nach der ersten Schmerzinjektion von Hals-Nasen-Ohren-ärztlicher Seite als noch floride bestätigt. Zur selben Zeit wurde eine Hüftgelenksendoprothese links explantiert, weil unter der Pfanne ebenfalls Eiter mit dem Erreger Staphylococcus aureus durch Punktion nachgewiesen war.
Die Meinung des Gutachters …
Der Gutachter, der von der Schlichtungsstelle um eine Stellungnahme gebeten wurde, hat 3 Infektionswege aufgezeigt. Als erste Möglichkeit hat auch er annehmen müssen, daß die Infektion über die Injektionskanüle ausgelöst wurde. Dabei hat er jedoch zu bedenken gegeben, daß eine Zeit von 6 Wochen bis zur Entstehung des Abszesses doch recht lang ist. Zum Zeitpunkt der stationären Krankenhausaufnahme habe man auch noch keinen Abszeß bei der Untersuchung feststellen können.
Ein zweiter Infektionsweg wäre der über die chronisch rezidivierende mesotympanale Otitis media. Dabei handelt es sich um einen Dauerinfektionsherd, der über eine Streuung der Keime mit dem Blut Ausgangspunkt für eine Infektion darstellen kann. Eine lokale Abwehrschwäche durch Gabe der kleinen Menge Triamcinolon in der Injektion kann im Bereich der Injektionsstelle ein Anwachsen von über den Blutweg eingeschwemmten Keimen begünstigt haben.
Als dritter Ausgangspunkt für eine Keimstreuung in den Bereich der Injektionsstelle kommt die gelockerte linksseitige Hüftgelenkspfanne in Frage. Auch hier wurden Staphylococcus aureus Keime nachgewiesen. Da man im Röntgenbild 8 Wochen nach der ersten Kreuzschmerzinjektion bereits an der linken Hüftpfanne deutlich die Knochenauflockerung hat erkennen können, ist anzunehmen, daß dieser Entzündungsherd bereits 6 Monate früher seinen Anfang genommen hat und damit zusätzlich zu dem chronischen Infektionsbereich im Hals-Nasen-Ohren-Gebiet als Streuherd in Frage kommt.
Der Gutachter hat als Streuherd die mesotympanale Otitis media rechts angesehen. Von dort seien die Eitererreger sowohl zur Hüftendoprothese als auch in den Bereich der Injektionsstelle geschwemmt worden. Eine lokale Resistenzschwäche durch die Anwendung von Triamzinolon habe eine Keimansiedlung begünstigt. Ein Vorwurf wegen der Anwendung von Triamzinolon bei der gegebenen Vorgeschichte wurde dem Orthopäden nicht gemacht. Wegen der langen Zeit zwischen Injektion und Abszessbildung wurde eine Infektion in Verbindung mit der Schmerztherapi für unwahrscheinlich gehalten. Eine fehlerhafte Behandlung wurde nicht festgestellt.
… und der Schlichtungsstelle
Die Tatsache, daß sich der Abszeß am Ort der Injektion entwickelt hat ist, wie man an diesem Beispiel gut sehen kann, kein Beweis für eine unsaubere Injektionstechnik und damit auch kein Beweis für einen etwaigen Fehler des behandelnden Arztes. Die geäußerte Vermutung des Krankenhausarztes, der den Patienten in der chirurgischen Abteilung behandelt hat, daß eine fehlerhafte Behandlung zu dem Abszess geführt habe, bestätigt sich demnach bei näherer Klärung nicht.
Fazit
Generell ist zu empfehlen, sich einer Bewertung über die Vorbehandlung anderer Ärzte möglichst zu enthalten. Dadurch blieben Patienten oftmals Verunsicherungen erspart und es kommt nicht zu unnötigen Auseinandersetzungen. Bei berechtigtem Verdacht auf eine Fehlbehandlung kann auf die Möglichkeit einer neutralen gründlichen Klärung durch die zuständige ärztliche Schlichtungsstelle verwiesen werden.