Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Wie viel Zeit darf nach der Diagnose bis zur Blinddarmoperation verstreichen?

Kasuistik

In einem Schlichtungsverfahren war zu prüfen, ob bei Zustand nach Herzkatheteruntersuchung und eine Woche später akut auftretenden Bauchschmerzen, die Abklärung und Behandlung einer akuten Appendizitis mit lokaler Unterbauchperitonitis und Perforation nach Vorstellung in einer Klinik der Maximalversorg bei einem 70-jährigen Patienten zeitgerecht und fachgerecht durchgeführt worden war.

Bei der Aufnahmeuntersuchung gegen 7.25 Uhr fand sich ein druckschmerzhaftes Abdomen mit Abwehrspannung im rechten Unterbauch und kontralateralem Loslass-Schmerz. Im Labor bestand eine Erhöhung des CRP auf 151 mg/l (Normwert <5mg/l) sowie ein Leukozytenwert von 9,97 (Normalbefund 4-109 /l). Um den schmerzhaften Bauchbefund bei Zustand nach der einige Tage zuvor erfolgten Herzkatheteruntersuchung schnell abzuklären, erfolgte zunächst eine CT-Untersuchung des Abdomens. Als Diagnose stellte sich eine Appendizitis ohne Abszedierung mit dezent freier Flüssigkeit ohne Zeichen einer freien Perforation dar.

Um 12.30 Uhr wurde der Patient in der Chirurgischen Notaufnahme von der diensthabenden Oberärztin untersucht und die Indikation zur alsbaldigen Operation einer akuten Appendizitis gestellt. Die Operation begann um 17.36 Uhr (Schnittzeit). Es fand sich eine perforierte Appendizitis mit Unterbauchperitonitis.

Zwei Tage später erfolgte eine Re-Laparotomie mit Spülung der Bauchhöhle und erneuter Drainagelegung wegen trüber Drainageflüssigkeit und katecholaminpflichtiger Kreislaufunterstützung. Nach weiterer Behandlung auf der Intensivstation, dann auf der Normalstation, erfolgte am neunten postoperativen Tag eine Wundspreizung bei Sekundärheilung im Subkutanbereich.

Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen

Der Patient bemängelt, dass trotz eindeutiger Diagnose erst um 12.13 Uhr eine Verlegung in die Chirurgie erfolgt sei. Auf der Station sei er bereits um 15 Uhr in einem schlechten Zustand gewesen. Die Operation sei aber erst um 17.36 Uhr begonnen worden. Zehn Stunden nach der Aufnahme sei der Blinddarm schon perforiert gewesen und eine lokale Bauchfellentzündung habe vorgelegen. Es sei deswegen eine Weiterbehandlung bei Sepsis auf der Intensivstation notwendig gewesen. Wären Diagnose und Operation früher erfolgt, hätte die Perforation verhindert werden können.

Stellungnahme Krankenhaus

Es wird entgegnet, dass nach Eintreffen bei unklarem Abdomen um 7.25 Uhr die notwendigen Untersuchungen zunächst durch die Ärzte der Notaufnahme der Inneren Medizin durchgeführt worden seien. Bei Zustand nach Koronarangiografie einige Tage vor der Aufnahme sei auch eine CT-Untersuchung zum Ausschluss von etwaigen retro- oder intraperitonealen Komplikationen nach der Herzkatheteruntersuchung notwendig gewesen. Die Ergebnisse der Blutwerte hätten um 8.34 Uhr vorgelegen. Die Anmeldung und Durchführung des Notfall-CT und Auswertung der CT-Bilder habe bis 12 Uhr gedauert. Die Diagnose habe den Verdacht einer akuten Appendizitis ohne Abszedierung bei dezent freier Flüssigkeit ergeben. Anschließend habe eine Vorstellung in der Chirurgischen Notaufnahme um 12.13 Uhr stattgefunden. Durch die diensthabende Oberärztin sei um 12.30 Uhr die Indikation zur Operation einer akuten Appendizitis gestellt worden und der Patient sei dem OP-Management als Notfall gemeldet sowie auf die Station gebracht worden. Die dokumentierten Zeitspannen entsprächen dem Standard in der Versorgung eines akuten Abdomens.

Gutachten

Der chirurgische Gutachter hat folgende Kernaussagen getroffen: Die Indikation zur Durchführung einer CT-Untersuchung des Bauch- und Retroperitonealraums sei korrekt gewesen auch in Hinsicht auf andere Erkrankungen, die ein akutes Abdomen hätten verursachen können. Außerdem habe die einige Tage zuvor durchgeführte Herzkatheteruntersuchung bei diesem Bauchbefund eine entsprechende CT-Untersuchung erforderlich gemacht aufgrund des möglicherweise vorhandenen infizierten Hämatoms nach Herzkatheteruntersuchung. Die erweiterte Befunderhebung habe standardgerecht, im zeitlichen Ablauf nachvollziehbar und notwendig stattgefunden. Laut Unterlagen habe eine Befundung der CT-Untersuchung spätestens gegen circa 12 Uhr vorgelegen, worauf der Patient dann in die Chirurgische Notaufnahme verlegt worden sei. Ausgehend von der radiologischen Diagnosestellung gegen 11.30 Uhr und der chirurgischen Indikationsstellung um circa 12.30 Uhr seien dann fünf Stunden bis zur Operations-Schnittzeit um 17.36 Uhr als regelhafte Zeitspanne korrekt gewesen, zumal auch nicht der Verdacht auf eine perforierte Appendizitis laut CT-Untersuchung bestanden habe. Eine fehlerhafte Verzögerung habe nicht vorgelegen. Auch die Durchführung der Operation als primär offene Operation und die weitere Betreuung seien standardgerecht erfolgt.

Entscheidung der Schlichtungsstelle

Die Schlichtungsstelle schloss sich dem Gutachten im Ergebnis an. Bei dem Patienten musste wegen akut aufgetretenen Bauchschmerzen und einem Zustand nach einer einige Tage zuvor erfolgten Herzkatheteruntersuchung eine schnelle, umfassende Abklärung des Krankheitsgeschehens durchgeführt werden. Hierzu eignete sich, wie richtigerweise von den untersuchenden Ärzten entschieden wurde, ein Notfall-CT. Differentialdiagnostisch kamen bei dem beschriebenen Bauchbefund mehrere akute Baucherkrankungen infrage, so eine perforierte Sigmadivertikulitis, Appendizitis und nicht zuletzt auch eine Komplikation aufgrund der kürzlich notwendig gewesenen Herzkatheteruntersuchung. Erst nach Abschluss der CT-Untersuchungen, der Befundung durch die Röntgenabteilung sowie der Indikationsstellung durch die chirurgische Oberärztin über Art und Notwendigkeit einer sofortigen Operation lag aus der allein maßgeblichen Sicht ex ante eine Indikation zu einer dringlich durchzuführenden Operation vor. Der benötigte Zeitablauf vom Eintritt in die Klinik bis zur Indikationsstellung einer Appendizitis ist korrekt und nachvollziehbar, vor allem auch wegen eines erforderlichen Ausschlusses oder Nachweises von Komplikationen nach der Herzkatheteruntersuchung. Auch bestand zum Zeitpunkt der chirurgischen Diagnosestellung gegen 12 Uhr bei dokumentierter stabiler Klinik des Patienten bei der Aussage des CT-Befundes einer akuten Appendizitis ohne Perforationszeichen nicht die Notwendigkeit einer unmittelbar sofort durchzuführenden Operation, da kein absolut lebensbedrohlicher Zustand des Patienten vorlag. Die Anmeldung im Operationsplan als dringlich durchzuführende Operation erfolgte ebenfalls zeitgerecht. Auch die Einplanung in das laufende OP-Programm und ein Operationsbeginn nach fünf Stunden ist als zeitgerecht und vertretbar anzusehen.

In zahlreichen umfangreichen Studien der gegenwärtigen medizinischen Literatur wird der Frage nachgegangen, ab welcher Zeitspanne zwischen Eintritt in das Krankenhaus, fachärztlicher Diagnosestellung und Operationsbeginn (Schnittzeit) sich die Komplikationsrate nach Operationen einer akuten Appendizitis erhöht. Im vorliegenden Fall bestand eine Latenzzeit von zehn Stunden zwischen Eintritt in die Klinik und Operationszeitpunkt, wobei auf die nachweislich notwendige Untersuchungszeit bis zur Diagnosestellung circa fünf Stunden fielen. Neuere Untersuchungen belegen, dass sich die postoperative Komplikationsrate durch die insgesamt notwendige 10-stündige Zeitspanne nicht erhöht habe. Eine Antibiotika-, Schmerz- und Infusionstherapie sollte aber nach Diagnosestellung eingeleitet werden. Die vom Patienten als fehlerhaft bemängelte zu lange Zeitspanne kann nicht als Ursache der eingetretenen Komplikationen wie die stattgehabte Blinddarmperforation, die notwendige Revisionsoperation bei Unterbauchperitonitis sowie die Sekundärheilung im Bauchwandbereich angeführt werden. Somit sind die Komplikationen nicht als Folgen eines ärztlichen Fehlverhaltens anzusehen, sondern gehören in diesem Fall zu den möglichen krankheits- und eingriffsspezifischen Komplikationen bei derartigen Erkrankungen. Ein Behandlungsfehler oder Organisationsmangel lag nicht vor.

Fazit

Die Frage, ob eine Appendizitis zeitgerecht operiert wurde, ist eine Einzelfallentscheidung, bei der die individuellen anamnestischen Daten ausschlaggebend sind.

 

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Autoren:

Prof. Dr. med. Markward von Bülow

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover

Prof. Dr. med. Heinz-Jürgen Engel

Christine Wohlers, Rechtsanwältin

Juristin in der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover

Schaffartzik

Prof. Dr. med. Walter Schaffartzik

Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin sowie
Vorsitzender der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover